
[€ 14,00] ISBN 978-3-943297-84-3
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Leseprobe aus Heft 4/2025
Lenel, Laetitia
Wenn nichts bleibt.
Künstlerinnen im frühen 20. Jahrundert
Im Herbst 2024 ging die große Ausstellung über »Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris« des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Frankfurter Städel zu Ende. Im selben Herbst eröffnete »Elles. Les élèves de Jean-Jacques Henner« im Musée national Jean-Jacques Henner in Paris, im Januar 2025 folgte die Ausstellung über Dora Hitz im Kunstverein Coburg. Selbsterklärtes Ziel dieser Schauen war und ist es, »eingeübte Sichtweisen zu hinterfragen«, wie es im Katalog zur Frankfurter Ausstellung heißt. Statt das Narrativ der Künstlerin als »Randfigur« oder »Heldin« zu reproduzieren, wollen sie zeigen, daß Frauen in der Kunstlandschaft um 1900 »zahlreich, sehr präsent und erfolgreich« gewesen seien. Das ist begrüßenswert, weil Künstlerinnen als Akteurinnen ihrer Epoche ernst genommen und ihr Geschick und Werdegang nicht, wie lange Zeit üblich, vornehmlich den Leistungen männlicher Mentoren zugeschrieben werden. Mitunter geraten bei diesem ambitionierten Vorhaben jedoch die starken Widerstände aus dem Blick, auf die sie damals stießen. Diese zeigen sich vor allem in dem, was keine Spuren hinterließ: in engen Grenzsetzungen, brüchigen künstlerischen Biographien und in Gemälden und Plastiken, die verlorengingen. Das daraus resultierende Schweigen und die nicht entstandenen oder nicht überlieferten Werke entziehen sich musealer Erschließung. Für unser Verständnis des Schaffens von Malerinnen und Bildhauerinnen im frühen 20. Jahrhundert ist die Benennung dieser Leerstellen allerdings zentral.
Wie stark die weibliche Sozialisation als hemmender Faktor auf das Schaffen von Künstlerinnen einwirkte, läßt sich besonders gut an einem seinerzeit viel beachteten Buch der späten zwanziger Jahre zeigen. 1928 veröffentlichte der Kunsthistoriker Hans Hildebrandt im Berliner Rudolf Mosse Verlag das Buch »Die Frau als Künstlerin«, in dem er bildende Künstlerinnen seit der Antike vorstellt und davon ausgehend über Möglichkeiten und Grenzen weiblicher Kunst nachdenkt. Dem liegt seine Beobachtung zugrunde, daß sich die Stellung der Frau in den vorangegangenen Jahren entscheidend verändert habe. Zum ersten Mal, so der Autor, werde dem Weib »die grundsätzliche Ebenbürtigkeit zugestanden«. Hildebrandt setzt sich intensiv mit zeitgenössischen Künstlerinnen auseinander, mit denen er zum Teil in direktem Austausch steht. Dennoch zweifelt er nicht daran, daß nur Männer zu wahrer Kunst berufen seien: »Das Allerhöchste aber hat eine Frau als gestaltende Künstlerin noch nie erstrebt, geschweige denn erreicht. Und es fragt sich, ob sie es je erreichen wird. Nicht, weil dem weiblichen Geschlechte die letzte Genialität versagt ist. Die Frau hat sie. Doch auf anderen Gebieten als auf jenen, auf denen sie dem Manne eignen mag. Das Weib besitzt sie, wo es seine leiblich-geistige Persönlichkeit ohne jede Einschränkung einsetzen kann: im Leben und in der Liebe.« Man werde »bedeutenden Herrscherinnen, Gelehrtinnen, Künstlerinnen« daher immer Männer gegenüberstellen können, die größer gewesen seien und Größeres vollbracht hätten als sie. Das gelte nicht nur für die bildende Kunst, sondern auch für Musik und Literatur. Zwar gebe es großartige Musikerinnen und Schauspielerinnen, jedoch keine bedeutenden Komponistinnen und Autorinnen: »Wo die Frau selbst den Weg bestimmt, verliert sie die Sicherheit und versagt zumeist.«
Nach diesen allgemeinen Betrachtungen über »das Wesen weiblichen Schöpfertums « und einer Geschichte der weiblichen Kunst seit der Antike folgt ein dritter, auf die Gegenwart bezogener Teil, in dem sich Hildebrandt mit dem Schaffen von Malerinnen und Bildhauerinnen von Charlotte Berend-Corinth bis Auguste von Zitzewitz auseinandersetzt. Auch dieser Abschnitt wird von zahlreichen Abbildungen begleitet, die heute einen eigenen Wert besitzen, da etliche Künstlerinnen vergessen oder ihre Werke verschollen sind. Hildebrandt nimmt wahr, daß künstlerisch tätige Frauen seit 1914 eine neue Sichtbarkeit in Deutschland erlangt haben, und glaubt, daß das »neue Weib« auch die »neue Künstlerin« hervorbringe. Er gesteht der Malerin Alice Trübner zu, »ein nicht alltägliches Talent« zu besitzen, und attestiert Paula Modersohn-Becker, daß »sie selbst, ohne es zu ahnen, die ersten Schritte gegangen war« in eine neue Kunstrichtung. Dennoch bringen Hildebrandt auch diese Beispiele nicht von seiner These ab, daß allein Männer wahre schöpferische Kraft besäßen. So glaubt er, daß Alice Trübner »so ganz im Banne ihres Mannes« gestanden habe, daß »man sich nicht vorzustellen vermag, wie sie ohne Wilhelm Trübner gearbeitet hätte«. Und wiederholt trotz der lobenden Worte für die »mit männlicher Sicherheit« gemalten Bilder von Charlotte Berend-Corinth und Käthe Kollwitz’ »schöpferische Kraft« seine eingangs dargelegte Hypothese: »Trotz unverhoffter Steigerung der Selbständigkeit bewahrheitet sich dennoch die alte Erfahrung auch jetzt: Die Kunst der Frau begleitet die Kunst des Mannes. Sie ist die zweite Stimme im Orchester, nimmt die Themen der ersten Stimme auf, wandelt sie ab, gibt ihnen neue, eigenartige Färbung; aber sie klingt und lebt von jener.«
Hildebrandts Buch erhielt zahlreiche positive Besprechungen. Die Kritiken lobten, sein Buch sei zur rechten Zeit erschienen, einer »Stunde der Abrechnung zwischen beiden Geschlechtern«. Die Rezensionen in der Funk-Woche und im Berliner 8-Uhr-Abendblatt beschrieben Hildebrandts Herangehensweise an das Thema als »liebevoll und gründlich« und hoben hervor, daß der Verfasser mit »objektiver Beurteilung die Vorzüge wie die Mängel der Frauenpsyche« in den Blick nehme. Fast alle wiederholten Hildebrandts Schlußfolgerungen. Sein historischer Abriß wurde als Beleg dafür angeführt, daß die weibliche »Grundeinstellung immer dieselbe, der Umwelt verbundene bleibt« (Berliner Tageblatt) und »die künstlerischen Fähigkeiten der Frau mehr auf der reproduktiven Seite liegen als auf der selbstschaffenden« (Funk-Woche). Manche empfanden Hildebrandt gar als zu freundlich gegenüber den »Malweibern« (Das Kunstblatt).
Höflich und respektvoll wollten die meisten Kritiker der »Konkurrentin« begegnen, wie Frauen in einer der Besprechungen genannt wurden, ihre gönnerhafte, leicht spöttische Haltung jedoch nicht ablegen. So nannte ein Rezensent Hildebrandts Feststellung, »daß die schöpferische Genialität der Frau letzten Endes nur auf dem Gebiete des Gefühls zu erwarten und zu finden sei«, für Frauen »ermutigend«. Darüber sollten diese allerdings nicht vergessen, »daß die Frau als Bildnerin auch im Zeitalter der Emanzipation nicht über den Mann als Schöpfer hinauswachsen kann, daß sie an den Flug des männlichen Genius besten Falles heranreicht«. Unverhohlen erklärten mehrere Journalisten, daß ein Reiz von Hildebrandts Buch in seiner beruhigenden Wirkung bestehe. In diesem Sinn nannte ein Rezensent die Tatsache, daß »es der Frau in unwahrscheinlich kurzer Zeit gelungen ist, den Vorsprung des Mannes einzuholen«, einen ernsten Grund zur Besorgnis, versicherte seinen Geschlechtsgenossen jedoch sogleich, daß »dem weiblichen Geschlecht von Natur aus Grenzen gesetzt« seien, »die dem Mann seine Führerstellung im kulturellen Leben für immer sichern« (Düsseldorfer Stadt-Anzeiger). Diese Annahme glaubte er in Hildebrandts Abriß bestätigt zu finden.
Auch dem Verfasser selbst scheint es ein Anliegen gewesen zu sein, Frauen vor einem allzu großen Selbstbewußtsein als Künstlerin zu warnen – und sie statt dessen an ihre eigentlichen Pflichten zu erinnern. Hildebrandt spart nicht mit Nadelstichen gegen die »mannähnlichsten Vertreterinnen« des weiblichen Geschlechts, die zu selbstbewußt aufträten, und lobt an ihrer Stelle jene »bedeutenderen« Frauen, die »in Vielseitigkeit oder Beschränkung zu erkennen gelernt« hätten, »worauf ihre eigenste Natur sie verweist«. Zu Beginn der Frauenemanzipation seien »gerade die Verehrer des weiblichen Geschlechtes mit einigem Rechte« besorgt gewesen, »daß die neue Frau manchen der einstigen Reize einbüßen werde«. Zum Glück habe die Mehrzahl der Frauen schnell erkannt, daß dies der falsche Weg sei. Wieder einmal hätten weibliche Einsicht und Selbstbescheidung die Oberhand behalten: »Noch jedesmal hat das Weib dank seinem Anpassungsvermögen, das jenes des Mannes weit übertrifft, sich in das verwandelt, was die Stunde von ihr verlangte und was der Mann zur Ergänzung seines tätigen Lebens brauchte.« Und bestehe in dieser Haltung nicht der eigentliche Kern des Weiblichen? Zwar würden Frauen nicht über wahre schöpferische Kraft verfügen, wohl aber besäßen sie eine »Genialität des Bezauberns mit jeder Geste, jedem Worte, jedem Tun«. Künstlerinnen seiner Zeit empfiehlt Hildebrandt entsprechend, sich auf Schaffensgebiete zu konzentrieren, »die der Freude des Kindes dienen, die den heranwachsenden Menschen fröhlich und allgemach hinüberleiten sollen in die harte Welt der Wirklichkeit«: die Herstellung von Puppen, Spielzeug, Bilderbüchern. Schließlich könne sich die weibliche Liebe einfühlen in die Wünsche und Träume von Kindern, nicht zuletzt, weil die Frau »selbst dazu noch Kind genug ist«.
Nur ein Rezensent kritisierte das Buch scharf. »Der Versuch traditioneller Einschüchterung der Frau hat sich jahrtausendelang bewährt«, schrieb Paul Frischauer in der Neuen Freien Presse, und »die Gegenwarterscheinung der manischen Abdrängung fast jedes Problems auf das Gebiet der Psychologie erleichtert dieses Bemühen«. Ein solcher Versuch seien auch Hildebrandts »philosophierende Gedanken über ›die Frau‹, über die Art ihrer Seele, ihr Wesen und die Grenzen ihres Geistes«. Der Autor urteile, so Frischauer spöttisch, »als ›Vollmann‹«. Ziel seiner Schrift sei nichts anderes, als »der Frau jede schöpferische Urkraft abzusprechen und damit letzten Endes ihrer Künstlerschaft überhaupt die wahrhafte Daseinsberechtigung zu nehmen«. Fassungslos wiederholt der Rezensent Hildebrandts Ausdruck von der »freien Entfaltung« der »Einbildungskraft der Frau«: »Die freie Entfaltung? Aber wann ward sie der Frau vergönnt?« Kunst sei ein Beruf, der gepflegt werden müsse. Das aber sei Frauen nie möglich gewesen, außer vielleicht in den Nonnenklöstern des frühen Mittelalters, »in denen Frauen unter sich, abseits von der ätzenden Kritik des Mannes« leben und arbeiten konnten und in denen auch die große Kunst einer Hildegard von Bingen entstand. Der Autor, meint Frischauer, »vergißt, daß sich wohl das Talent in der Stille zu bilden vermag, das Genie aber nur im Getriebe der Welt«.
Diese Rezension nimmt teilweise die Argumentation der Kunsthistorikerin Linda Nochlin vorweg, die 1971 den einflußreichen Essay »Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben?« veröffentlichte. Nochlin weist darin die im Titel gestellte Frage zurück – schließlich sei die Vorstellung des großen Genies ein Konstrukt, zugeschnitten auf weiße und männliche Künstler, entstanden durch eine (Selbst-)Mythologisierung, in der die wundersame Gabe des einzelnen herausgestellt wird, während soziale und institutionelle Bedingungen verschwiegen werden. Eben diese aber seien zentral und hätten Frauen in der gesamten Kunstgeschichte gefehlt. […]
SINN UND FORM 4/2025, S. 532-541, hier S. 532-535