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Heftarchiv – Leseproben

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[€ 11.00]  ISBN 978-3-943297-28-7

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Leseprobe aus Heft 2/2016

Krieger, Hans

Die Wiederkehr des Reims. Form als Sinn - zu einem Gedicht von John Donne


Zu den erstaunlichsten Entwicklungen der neueren Lyrik gehört die geräuschlose Rehabilitierung des Reims. Lange war er verpönt gewesen als Relikt einer entleerten Tradition, als Konventionskrücke der Epigonen, gar als trügerische Schönrednerei, die das Disparate der modernen Welt mit glättender Harmonie überschminkt. Nur für die Humoristen unter den Versemachern war er, seiner Liaison mit der Pointe wegen, ein probates Mittel geblieben. Nun aber, noch etwas schüchtern und manchmal mit Anzeichen von Muskelschwäche nach zu langem Stilliegen, betritt der Reim erneut die Bühne. Und auch manche von denen, die seiner sinnlichen Wirkpotenz besonders entschieden unauffälligere Ordnungsmittel der gebundenen Rede hatten entgegensetzen wollen, erliegen wieder seinem Zauber, der in eine weit entfernte mythisch-magische Vergangenheit zurückreicht.

Für den Übersetzer von Lyrik bleibt der Reim, was er war: ein Problem und eine Herausforderung. Eine Erschwernis also: Wo er es mit gereimten Gedichten zu tun hat, muß er nicht nur Sinngehalt, Bildprägungen, Sprachmuster und Tonfall nachbilden, sondern obendrein nach vorgegebenem Schema die Versenden zum Gleichklang binden. Da das in der Praxis oft nicht ohne Verrenkungen abging, die das Ergebnis schwerfällig und verkrampft wirken ließen, haben viele Übersetzer, gerade auch bedeutende, sich zum Reimverzicht entschlossen – eine Übung in demütiger Askese, um »nahe am Text« zu bleiben. Kann man aber nahe am Text sein, wenn man diesem Text wesentliche Momente seiner Klanggestalt nimmt?

Niemand käme auf die Idee, ein reimloses Gedicht gereimt zu übersetzen; das wäre Verfälschung. Wieso ist es dann keine Verfälschung, wenn man ein gereimtes Gedicht reimlos übersetzt? Der Klang kann für die Wirkung entscheidender sein als der Wortlaut. Eichendorffs berühmte »Mondnacht« könnte in der dritten Strophe auch so lauten: »Und meine Seele spannte / ihre Flügel weit aus / und flog durch das stille Land, / als ob sie nach Hause flöge.« Philologisch fehlt nichts, poetisch fehlt alles. Der Zauber ist verflogen.

Aber nicht nur die metaphysisch geweitete Naturstimmung braucht ihre spezifische Klanglichkeit, um zur Wirkung zu kommen. Für den satirischen Witz, den polemischen Sarkasmus, das anzügliche Geplänkel ist der Reim der Treffer des Florettfechters. Vor kurzem hat die »Frankfurter Anthologie« der FAZ John Donnes berühmtes Gedicht »Der Floh« in der klassischen Übertragung von Werner von Koppenfels wieder in Erinnerung gerufen. Das Original ist selbstverständlich perfekt gereimt, nach einem sehr eigenen Muster: Die drei neunzeiligen Strophen lassen auf jeweils drei Reimpaare eine Reim-Trias folgen. Die Reimpaarung versinnbildlicht auf doppelte Weise die Grundidee: Sie entspricht der ersehnten Vereinigung des Galans mit der noch spröden Geliebten, die der Floh auf sehr physische Weise symbolisch vollzogen hat, indem er die beiden nacheinander blutsaugend gebissen hat; sie entspricht zugleich der Koppelung des Unvereinbaren, des Liebeswerbens mit der Banalität eines Parasitenbisses. Die dreifache Wiederholung der Reimpaarung aber und der abschließende Reim-Dreiklang korrelieren mit der dreifachen Todsünde, welche die Angebetete mit der Tötung des Flohs begeht, weil sie damit den Liebhaber, sich selbst und auch das Medium der Vereinigung beider umbringt – was für den theologisch geschulten John Donne wohl auch eine wenig respektvolle Anspielung auf die Trinität war.

Warum nur hat Werner von Koppenfels die hier so entscheidende Reimform nicht gewahrt? Daß er sich aufs Reimen versteht, hat er doch wiederholt bewiesen, etwa an Balladen von François Villon. Die bloßen Assonanzen oder Halbreime, die er statt dessen bringt (»zugleich« auf »heißt«, »Mensch« auf »nennt«, »zuletzt« auf »Bett«), sind im Grunde enttäuschender als völliger Reimverzicht, weil sie wie mißglückte Reimversuche wirken. Es ist aber gar nicht so schwer, John Donnes Gedicht auch auf deutsch streng zu reimen. Beispielsweise so (unter gelegentlicher Verwendung einzelner Formulierungen von Werner von Koppenfels):

 

DER FLOH

Sieh diesen Floh! Und sieh, was er uns lehrt:

Ist, was du mir verweigerst, so viel wert?

Gebissen hat er mich und dann dich auch,

Vermischt ist unser Blut in seinem Bauch.

Daß dies nicht Sünde ist, mußt du bekennen,

Man kann’s nicht Schmach, nicht Raub der Unschuld nennen.

Was er genießt, so mühelos und frei,

Mit Lust gebläht vom einen Blut der zwei –

Wer sagt, daß dies für uns nicht schicklich sei?

 

Halt ein! Der Hochzeitssegen uns gegeben,

Wenn du ihn totschlägst, mordest du drei Leben:

Du tötest mich und dich mit einem Streich

Und triffst, worin vereint wir sind, zugleich,

Den Hochzeitstempel aus lebendgem Holz,

Der uns gepaart hat, trotzend deinem Stolz.

Mich umzubringen schreckt dich ja nicht sehr,

Doch Sakrileg und Selbstmord wiegen mehr.

Todsünde dreifach, daran trägst du schwer.

 

O übereilte Willkür! Hast du jetzt

Den Finger mit der Unschuld Blut benetzt?

Was tat es denn, das arme kleine Tier,

Als daß es trank ein Tröpfchen Blut von dir,

Von dem du selber sagst – und hast ja recht –,

Es habe weder dich noch mich geschwächt?

Ach, eitle Ängste! Dich mir hinzugeben

Nimmt deiner Ehre mehr nicht, als was eben

Der Tod des Flohs dir nahm von deinem Leben.

 

Unterschlagen habe ich, im Unterschied zu Werner von Koppenfels, eine metrische Feinheit: den regelmäßigen Wechsel von vierhebigem und fünfhebigem Jambus. Diese Subtilität ist als Ausdruck eines Moments von Ungleichheit in der Paarung gewiß nicht ohne Bedeutung; sie scheint mir aber von weitaus geringerem Gewicht zu sein als die Wahrung der Reimform, mit der die Schlagkraft des Witzes dieser geistUnterschlagen habe ich, im Unterschied zu Werner von Koppenfels, eine metrische Feinheit: den regelmäßigen Wechsel von vierhebigem und fünfhebigem Jambus. Diese Subtilität ist als Ausdruck eines Moments von Ungleichheit in der Paarung gewiß nicht ohne Bedeutung; sie scheint mir aber von weitaus geringerem Gewicht zu sein als die Wahrung der Reimform, mit der die Schlagkraft des Witzes dieser geistreich-frivolen Verführungsrhetorik steht oder fällt. Der »Floh« des Shakespeare-Zeitgenossen John Donne ist mir aber nur aktueller Beispielsfall für die immense Bedeutung der Klanggestalt des Gedichts. In der Klanglichkeit erscheint der Sinn als Form. Wer als Übersetzer den Reim umgeht, kapituliert vor der eigentlichen Aufgabe, die mehr verlangt als nur philologische Treue.

 

SINN UND FORM 2/2016, S. 273-275