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Heftarchiv – Leseproben

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Printausgabe vergriffen

Leseprobe aus Heft 3/2009

Kellen, Konrad

Mein Boß, der Zauberer. Als Sekretär von Thomas Mann in Los Angeles


In Thomas Manns Tagebüchern von 1941-43 komme ich öfter vor, aber immer als Konrad Katzenellenbogen. Das war in der Tat mein ursprünglicher Name. Ich nannte mich in den USA eine Zeitlang »Bogen«, entschied mich aber schlußendlich für die Abkürzung Kellen, nachdem ich im August 1943 in die amerikanische Armee eingezogen und vom Soldaten zum Gefreiten befördert worden war.
Noch unter Kaiser Wilhelm II., am 14. Dezember 1913, wurde ich als Kind christlicher Eltern jüdischer Herkunft in Berlin geboren und in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche getauft und eingesegnet. Ich lebte mit meinen Eltern teils in unserem prächtigen Haus an der Bendlerstraße 40 in Berlin, teils auf unserem Rittergut mit dem schönen Namen Freienhagen außerhalb von Berlin, zu welchem ein Dorf gleichen Namens gehörte. Meine Mutter hatte eine große Gemäldesammlung mit Bildern von Monet, Manet, Renoir und Cézanne und wurde von Max Liebermann gemalt. Mein Vater führte die Brauerei Schultheiß-Patzenhofer.
In der Weltwirtschaftskrise und durch einen Finanzskandal verloren meine Eltern 1930 den Großteil ihres Vermögens, 1933 wurden sie geschieden, und somit zerfiel unsere Familie. Dennoch schrieb ich mich im Frühjahr 1932 an der Universität in Heidelberg als Student der Rechte ein und verbrachte mein zweites Semester in München, als im Januar des Jahres 1933 zum Jubel der Männer und auch der Frauen Adolf Hitler über Deutschland hereinbrach. Vor diesem Wahnsinn floh ich sogleich und schlug mich recht und schlecht durch in verschiedener Herren Länder, bis ich nach Amerika kam. Nicht bevor der »Führer« sich eine Kugel in den Schädel geschossen hatte, betrat ich wieder deutschen Boden - dieses Mal als amerikanischer Besatzungsoffizier mit der Aufgabe, bei der Bereinigung der verseuchten deutschen Presse mitzuwirken.
Zwei Jahre zog ich ziellos durch Frankreich, Jugoslawien und Holland. In Paris lernte ich im Februar 1935 Klaus Mann kennen. Ab und zu besuchte ich ihn und Erika in Südfrankreich, wo sich damals viele deutsche Emigranten aufhielten. Im Herbst 1935 fuhr ich auf dem holländischen Dampfer „Statendam« in das mir völlig unbekannte New York. Dort schlug ich mich vier Jahre mit kleinen Pöstchen durch. Ich war Aktienhändler bei dem später sehr berühmten Börsianer Benjamin Graham an der Wall Street. Aber meine Bemühungen, mir dort ein Riesenvermögen zu verdienen, oder mir wenigstens ein neues Leben zurechtzuschustern, waren nicht von Erfolg gekrönt.
Die Mann-Kinder besuchten mich in New York, wenn sie in der Stadt waren. So kam es 1937 auch zur Begegnung mit Thomas Mann im Hotel Bedford. Er war zu dieser Zeit wieder auf einer Amerikareise. Das Bedford war und ist ein für amerikanische Verhältnisse kleines, aber vornehmes Hotel an der 40. Straße in Manhattan, nur sechs oder sieben Stockwerke hoch, in einer verhältnismäßig ruhigen Gegend. Die Manns hatten zwei Schlafzimmer und einen kleinen Salon im ersten Stock gemietet. Während des Tees im Salon waren auch Thomas Mann und seine Frau Katia erschienen.
Im ersten Gespräch mit Thomas Mann fiel mir vor allem auf, daß seine Ausdrucksweise weniger gewählt und viel humorvoller war als in seinen Büchern, aber so präzise, daß sie mich faszinierte. Er wirkte bescheiden, aber selbstsicher, und vor allen Dingen überaus förmlich. Zugleich war er ausgesprochen freundlich. Bei unserem ersten Gespräch trug er einen grauen Anzug mit Weste und eine breit gebundene Krawatte. Beim Tee fragte er mich, wie und wann ich nach Amerika gekommen sei und wie ich mich hier eingelebt hätte. So lernte ich schon beim ersten Gespräch eine seiner Haupteigenschaften kennen: wenig selber zu sagen, aber viel zu fragen.
Anfang 1940 übersiedelte ich nach Santa Monica, einem Vorort von Los Angeles, in der Hoffnung, dort Fuß zu fassen. Ich wohnte in einem kleinen Mietshaus mit Blick auf den Pazifik. Es war wirklich das Land, in dem überall die Zitronen blühten, reiften und für einen Pappenstiel zu kaufen waren. Ein paar Monate später, im Juli 1940, traf ich auf einem Spaziergang auf der Ozean-Promenade in Santa Monica Erika Mann wieder. Ihre Eltern waren für eine Weile nach Los Angeles gekommen. Erika wohnte bei ihnen in einem gemieteten Haus in Brentwood. Im Verlauf des Sommers war ich öfters bei den Manns zu Gast, wobei ich ihnen mit allen möglichen Dingen behilflich war.
Nachdem Thomas und Katia Mann im April 1941 definitiv nach Kalifornien umgezogen waren, sahen wir uns schon ein paar Tage nach ihrer Ankunft wieder. Erika hatte mir erzählt, daß ihr Vater einen Sekretär für seine umfangreiche deutsche und englische Korrespondenz und zum Kopieren seiner Manuskripte (die er alle mit Tinte und Füllfederhalter schrieb) suche und ich vielleicht für diesen Posten geeignet und akzeptabel sei. Berückt von der Aussicht, Manns Sekretär zu werden, begab ich mich am Karfreitag in sein gemietetes Haus in Pacific Palisades, einem Vorort von Los Angeles, um die Sache mit dem »Zauberer« zu besprechen, wie er in der Familie genannt wurde.
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SINN UND FORM 3/2009, S. 362-363