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Leseprobe aus Heft 2/1988
Baldwin, James
Gespräch mit Jordan Elgrably
JORDAN ELGRABLY: Würden Sie uns sagen, warum Sie die Staaten verlassen haben?
JAMES BALDWIN: Ich war blank. Ich kam nach Paris mit 40 Dollar in der Tasche, aber ich mußte weg aus New York. Die Not anderer Menschen schlug mir auf die Reflexe. Über lange Zeiträume hatte mich das Lesen entrückt, dennoch mußte ich mit den Straßen, mit den Behörden und mit der Kälte fertig werden. Ich wußte, was es hieß, weiß zu sein, und ich wußte, was es hieß, Neger zu sein, und ich wußte, was mich erwartete. Mit meinem Glück ging es zu Ende. Ich würde im Gefängnis landen, ich würde jemanden um bringen oder selbst umgebracht werden. Zwei Jahre zuvor hatte mein bester Freund Selbstmord begangen. Er war von der George-Washington-Brücke gesprungen.
Als ich 1948 nach Paris kam, konnte ich kein Wort Französisch. Ich kannte niemanden, und ich wollte niemanden kennen. Später, nachdem ich anderen Amerikanern begegnet war, ging ich ihnen aus dem Weg, weil sie mehr Geld als ich hatten und ich nicht nassauern wollte. Die 40 Dollar, mit denen ich ankam, reichten – das weiß ich noch – zwei, drei Tage. Geld borgend, wann immer ich konnte – oft in letzter Minute –, zog ich aus einem Hotel ins andere, und häufig wußte ich nicht, wie es weitergehen sollte. Dann wurde ich krank. Zu meiner Überraschung warfen sie mich nicht aus dem Hotel. Aus Gründen, die ich nie begreifen werde, kümmerte sich die korsische Familie um mich. Eine uralte Frau, eine großartige Matriarchin, pflegte mich gesund, drei Monate lang; sie verwendete alte Hausmittel. Jeden Morgen mußte sie fünf Treppen hochsteigen, um sich davon zu überzeugen, daß man mich am Leben hielt. Ich stand diese Zeit durch, während der ich sehr viel allein war und auch allein sein wollte. Ich gehörte nie zu einer Gemeinschaft, bis ich später in New York der Zornige Junge Mann wurde.
ELGRABLY: Warum haben Sie sich für Frankreich entschieden?
BALDWIN: Es handelte sich nicht so sehr um die Entscheidung für Frankreich als vielmehr darum, daß ich aus Amerika wegmußte. Ich wäre sonst zugrundegegangen, wie mein Freund auf der George-Washington-Brücke.
ELGRABLY: Sie sagen, die Stadt hat ihn umgebracht. Sie meinen das metaphorisch.
BALDWIN: So metaphorisch gar nicht. Du suchst eine Wohnung, wo du leben kannst. Du suchst einen Job. Du beginnst, am eigenen Urteilsvermögen zu zweifeln. Du zweifelst an allem. Du wirst unpräzise. Und das genau ist der Anfang vom Untergang. Man hat dich geschlagen, und zwar mit Absicht. Die gesamte Gesellschaft hat beschlossen, dich zu einem Nichts zu machen. Und sie wissen nicht mal, daß sie’s tun.
ELGRABLY: War Schreiben für Sie eine Form der Rettung?
BALDWIN: Da bin ich mir nicht so sicher. Ich bin mir nicht sicher, daß ich allem entgangen bin. In mancherlei Hinsicht lebt man immer noch damit. Es passiert um uns herum, Tag für Tag. Ich erlebe es anders, weil ich James Baldwin bin; ich fahre nicht mehr mit der U-Bahn, und ich bin nicht mehr auf Wohnungssuche. Und doch geschieht es immer noch. Daher ist »Rettung« in einem solchen Kontext kein glückliches Wort. Indem ich meine Lebensumstände beschrieb, war ich in gewisser Weise genötigt, mit ihnen zu leben. Das heißt nicht, daß ich sie akzeptiere.
ELGRABLY: Gab es einen Augenblick in Ihrem Leben, in dem Sie wußten, daß Sie schreiben, daß Sie Schriftsteller werden würden?
BALDWIN: Ja, den Tod meines Vaters. Bis dahin glaubte ich, daß ich etwas anderes werden könnte: Musiker, Maler oder auch Schauspieler. Alles noch, ehe ich neunzehn war. Unter den Bedingungen in diesem Land Schriftsteller zu werden, war unmöglich. (…)
Aus dem Amerikanischen von Heide Lipecky
SINN UND FORM 2/1988, S. 407-420, hier S. 407-408
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