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Heftarchiv – Leseproben

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[€ 11.00]  ISBN 978-3-943297-49-2

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Leseprobe aus Heft 5/2019

Blubacher, Thomas

»Der Schock war gewaltig»
Carson McCullers schreibt Ruth Landshoff-Yorck über Annemarie Schwarzenbach


Verstaubte Kartons voller Notizbücher und Agenden, Zeitungsausschnitte und Belegexemplare, die Ruth Landshoff-Yorck – in den sechziger Jahren von ihren jungen amerikanischen, meist schwulen Kollegen als die »Poet Lady von Greenwich Village« verehrt – aus Platzmangel im Haus ihres Protegés und Mäzens Kenward Elmslie im New Yorker Künstlerviertel deponiert und die über ein halbes Jahrhundert keiner mehr durchgesehen hatte. Ein Glücksfund bei der Recherche zur Biographie der 1966 verstorbenen, vorübergehend in Vergessenheit geratenen Schriftstellerin: bündelweise Familienkorrespondenz, dazu spektakuläre Aktfotos von ihr, Josephine Baker und anderen jungen Frauen, Briefe von Klaus Mann, Francesco von Mendelssohn, Annette Kolb, Thornton Wilder und weiteren großen Namen. Etliche Schreiben auch von Annemarie Schwarzenbach sowie ein einziges, längeres von Carson McCullers vom Mai 1946, dessen Beginn aufmerken ließ: »The shock was immense.« Reaktion auf Landshoffs berührendes Porträt der dreieinhalb Jahre zuvor ums Leben gekommenen Annemarie Schwarzenbach.

Drei Schriftstellerinnen verschüttet unter ihrem Ruhm, unter selbstgeschaffenen Legenden. Existenzen als Abenteuer. Und als Kunstwerk. Selbst wer nie ihre Texte gelesen hat, kennt mit den Namen der Schönen, Reichen und Einflußreichen gespickte Episoden aus Landshoff-Yorcks schillerndem Leben, hat die unterkühlt-elegante, androgyne Schönheit des »untröstlichen Engels« Schwarzenbach vor Augen, kann den Titel von McCullers’ 1940 erschienenem Erstling zitieren, der die Dreiundzwanzigjährige über Nacht berühmt gemacht hatte: »Das Herz ist ein einsamer Jäger«. Alle drei waren zeitweise verheiratet, Ruth von 1930 bis 1939 mit Friedrich-Heinrich Graf Yorck von Wartenburg, Ururenkel des berühmten Generals Ludwig von Yorck, einem Bankangestellten mit dem Aussehen eines Filmstars, dessen Liebe zu Ruth trotz einer zweiten, mit drei Kindern gesegneten Ehe nicht nachließ, Annemarie ab 1935 mit dem homosexuellen französischen Diplomaten Claude-Achille Clarac und Carson ab 1937 mit dem literarisch ambitionierten ehemaligen Soldaten und Bankangestellten Reeves McCullers, von dem sie sich zwar 1941 scheiden ließ, aber bis zu dessen Selbstmord 1953 nicht loskam. Alle drei gingen Beziehungen mit Frauen ein, und alle drei verzehrten sich vor unerwiderter Liebe: Ruth (unter anderem) zu Eleonora von Mendelssohn, Annemarie zu Erika Mann, Carson zu Annemarie.

Ruth Landshoff-Yorck, 1904 geboren als Ruth Levy in eine bürgerlich jüdische Familie in Berlin, genauer gesagt: im damals noch nicht eingemeindeten Schöneberg, begegnete schon als Kind den Berühmtheiten ihrer Zeit im Hause des Verlegers Samuel Fischer, eines angeheirateten Onkels. Schon Jahre, bevor sie sich mit kessen Feuilletons als Rut Landshoff einen Namen machte, glänzte sie als frühes It-Girl, berühmt fürs Berühmtsein, umworben, geliebt und verhätschelt. Eine androgyne Stilikone mit Bubikopf und Zigarette, die gemeinsam mit dem flamboyanten Francesco von Mendelssohn als Crossdresser durch Berlin zog, die zum Entzücken des Grafen Kessler »im Smoking sehr hübsch wie ein Junge aussehend, was sie noch durch eine Hornbrille unterstrich und aufgeschminkte Andeutung schwarzen Bartflaums«, mit der nackten Josephine Baker tanzte, Marlene Dietrich zu ihrer Rolle im »Blauen Engel« verhalf und Charlie Chaplin durch Berlin lotste. Viele dieser Bekanntschaften verdankte sie dem knapp sechsundzwanzig Jahre älteren Schriftsteller Karl Gustav Vollmoeller, dessen Geliebte sie mit gerade mal siebzehn geworden war. Daß sie sich nicht ausschließlich zu Männern hingezogen fühlte, störte ihn keineswegs, bisexuelle junge Mädchen entsprachen seinem Beuteschema. Und schon bald wurde es zu ihrer Aufgabe, seinen »Harem« mit Nachschub zu versorgen.

Die literarisch ambitionierte Schweizer Geschichtsstudentin Annemarie Schwarzenbach und Vollmoeller begegneten sich indes ohne Landshoffs Vermittlung, im Januar 1929: »Ich traf in St. Moritz (ausgerechnet in jener Bergstadt der oberflächlichen Lebensfreude!) einen Freund [Stefan] Georges, Karl Vollmoeller, der mich davon überzeugte, dass George der Einzelne, Starke, naturhaft Geniale ist.« Erst später schließt, durch Vollmoellers Initiative, auch Ruth mit Annemarie Bekanntschaft: »Sie weinte lautlos und ziemlich oft, schon am ersten Tag, an dem wir uns kennenlernten«, heißt es in ihrem literarischen Porträt der Freundin. »Sie sagte nie warum, und ich war zu diskret, um sie auszufragen. Und da Annemarie ganz offensichtlich nicht gern alleine war, wenn sie diese Tränen vergoß, so blieb ich da und sah zu, wie sie flossen. (…) Wir trafen uns in St. Moritz. Sie war dahin gekommen, als sie hörte, ich sei da. Sie kam auf mein Zimmer im Palace. ›Ich bin Annemarie‹, sagte sie. Ich küßte sie. ›Guten Tag.‹ Sie war reizend. Sie gefiel mir.«
[…]

SINN UND FORM 5/2019, S. 585-590, hier S. 585-586