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Heftarchiv – Leseproben

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Printausgabe vergriffen

Leseprobe aus Heft 2/2009

Weichelt, Matthias

Gespräch mit Hans Keilson


MATTHIAS WEICHELT: Herr Keilson, Sie wurden 1909 in Bad Freienwalde bei Berlin geboren und emigrierten in den dreißiger Jahren nach Holland. Sie haben die längste Zeit Ihres Lebens in Holland gelebt und gearbeitet, halten aber immer noch an der deutschen Sprache fest, schreiben auf deutsch. Das ist etwas Besonderes.
HANS KEILSON: Das ist es bestimmt. Meine Frau würde sagen, es ist schon sehr seltsam. Ich bin holländischer Arzt, holländischer Nervenarzt, Psychoanalytiker. Aber es gibt eine Verbindung, eine Beziehung, für die ich nur das Wort Treue finde.  
WEICHELT: Dabei heißt Ihr 1986 erschienener Gedichtband, in dem Texte seit den dreißiger Jahren, also auch aus der Zeit vor Ihrer Flucht versammelt sind, »Sprachwurzellos«. Ist in diesem Begriff für Sie beides enthalten, Herausgerissensein und Verbundenheit?  
KEILSON: So ist es. Das ist Sprachwurzellosigkeit. Ich spreche mit meinen Patienten holländisch, habe aber meinen ersten Roman im S.Fischer Verlag publiziert. Ich erinnere mich daran, daß der alte Samuel Fischer mir bei einem Empfang in seiner Villa im Grunewald die Hand schüttelte und sagte: Wir bringen ja ein Buch von Ihnen. »Das Leben geht weiter« konnte 1933 noch herauskommen, wurde aber schon im Jahr darauf verboten. Mein zweiter Roman, »Der Tod des Widersachers«, in dem ich meine Erlebnisse in der Nazizeit verarbeite, erschien 1959 bei Westermann. In Deutschland wurde das Buch kaum wahrgenommen, in Amerika bekam es glänzende Kritiken.  
WEICHELT: So ging es ja vielen geflohenen Autoren in der Nachkriegszeit, etwa Alfred Döblin, der wie Sie bei S. Fischer war. Haben Sie dafür eine Erklärung?  
KEILSON: Ich dachte immer, das liege an meiner Haltung. Der Roman ist ja kein Haßroman. Ich habe 1944 auch ein Gedicht geschrieben, »Variation«, in dem heißt es: »Doch lieg ich jetzt und gar so wund / in fremdem Land und scheu das Licht. / Es tönt aus meines Kindes Mund / ein andrer Klang als mein Gedicht. // Und wenn es dämmert, ziehn vom Meer / Flieger herauf zur Phosphorschlacht. / Ich lieg auf meinem Lager, schwer, / denk ich an Deutschland – in der Nacht.« Damals haben die englischen Flugzeuge Phosphor über Deutschland abgeworfen. Und ich lag auf meinem Lager, versteckt, und wollte nicht, daß mein Land mit Phosphor bombardiert wird. Ich wünschte es auch meinen Feinden nicht. Ich habe kein Bedürfnis nach Rache, auch wenn das viele gestört hat.  
WEICHELT: Ihren Unmut über die Zerstörung der deutschen Städte haben Sie ja noch vor Kriegsende in einem Essay zum Ausdruck gebracht.  
KEILSON: Ja, im Februar 1945 schrieb ich den Text »Ein leises Unbehagen«. Mit war nicht wohl bei der Vorstellung, daß auf Zerstörung immer nur Zerstörung folgt, daß man einen Brand, also die Bombardierungen durch die Deutschen, mit neuen Bränden löschen will. Wohin sollte all das führen? Mein Unbehagen bestand darin, daß eine Welt vernichtet wurde, nicht nur schöne Städte. Es war zwar die Welt unseres Feindes, aber irgendwann würde es die Welt unseres Freundes sein. Eine Welt, durch Wille und Fleiß von Menschen im Verlauf ihrer Geschichte aufgebaut, wurde durch Wille und Fleiß anderer Menschen zu Nichts zerschmettert, als wäre es Kinderspielzeug.  
WEICHELT: Sie haben in Berlin Medizin studiert und 1934 das Examen gemacht, durften als Jude aber nicht Arzt werden, so haben Sie bis zu Ihrer Emigration an jüdischen Privatschulen Sport und Gymnastik unterrichtet. Wie schnell wurde Ihnen klar, daß Sie aus Deutschland wegmußten?  
KEILSON: Ich erinnere mich, daß Oskar Loerke, mein Lektor bei S.Fischer, 1935 zu mir sagte: Machen Sie, daß Sie hier rauskommen, ich befürchte das Schlimmste.  
WEICHELT: Haben Sie das auch so gesehen? [...]

 

SINN UND FORM 2/2009, S. 273-277