
[€ 11.00] ISBN 978-3-943297-55-3
Heft 5/2020 enthält:
Stephan, Susanne
Novalis und die Karbonisierung der Welt, S. 581
Seiler, Lutz
Prometheus als Kind. Gedichte, S. 593
Nowka, Michael B.
Zweige verwandelt in Hände. Aus dem Tagebuch eines Kiefernharzsammlers (1983 –1990), S. 597
Beschreibung eines geheimen Berufs Wir Harzer in der DDR waren Leistungslöhner. Und Langstreckengeher. Zehn bis zwanzig Kilometer pro Tag und (...)
Nowka, Michael B.
Zweige verwandelt in Hände.
Aus dem Tagebuch eines Kiefernharzsammlers
(1983-1990)
Beschreibung eines geheimen Berufs
Wir Harzer in der DDR waren Leistungslöhner. Und Langstreckengeher. Zehn bis zwanzig Kilometer pro Tag und mehr, je nach Baumdichte. Ich ging in meinen Revieren oft über feinstengliges, weiches Waldgras. Die vorjährige Schmiele war verfilzt und bildete noch grüne, kräftezehrende Luftpolster. Schützenlöcher aus dem Zweiten Weltkrieg kreuzten die ausgetretenen, mit der Axt notdürftig gelichteten, kaum sichtbaren Arbeitspfade von Baum zu Baum. Fuchs- und Dachsbaue, Ameisenhaufen. Ich ging durch urwaldähnlichen Unterwuchs aus Vogelkirschen, Faulbaum, jungen Kiefern, Birken, Eichen und Robinien. Brombeerhecken und Wipfelbrüche umging ich. Herabgefallene, ins Gras eingewachsene Äste und alte, ebenfalls überwachsene Fuchsbaue waren Knochenbrecher.
Mitte April bis Anfang Mai waren die schwersten, aber auch schönsten Wochen im durchwachsenen Kiefernhochwald. Ich schnitt die tiefen, senkrechten Tropfrinnen ins noch wintertrockene Holz. Die zwei Zentimeter starke U-Klinge, am unteren Stielende eines Hammers befestigt, mußte ich oben ansetzen und einen knappen halben Meter unter starkem Druck nach unten ziehen, damit fürs ganze Jahr ein ausreichend tiefer Ablaufkanal entstand. Am unteren Ende der Tropfrinne schlug ich den Topfhalter an. Fünftausend Tropfrinnen in vierzehn Tagen. Im ersten Frühjahr schmerzte mir nach einer Woche der Brustkorb. Husten war kaum möglich. Jeder weitere Schnitt, jede neue Tropfrinne löste rasende Schmerzen aus. Als würde sie sich auch in mich eingraben. Lungenentzündung? Niemand da, mit dem ich darüber sprechen konnte. Wir etwa fünfzehn Harzer des Forstbetriebs waren um die Stadt Brandenburg verstreut. Der Harzmeister kam alle vierzehn Tage vorbei. Er brachte Werkzeug, Arbeitsschutzhandschuhe und das Mückengift »Mückin«. Zum Glück ging ich nicht zum Arzt. Die Blamage! War nur Muskelkater, den alle Neulinge durchstehen mußten.
Wenn jedoch die Kohlmeisenhähnchen, auch Schlossermeisen genannt, ihr ständig gleiches Lied wie auf silbernen Ambossen weithin pinkerten, dann ahnte ich, warum ich in den Wald gegangen war.
Als ob ich unter hohen Kiefernkronen durch eine riesige Halle, einen seltsamen Dom lief, in dem fröhlich gearbeitet wurde. Das Klingeln der silbernen Ambosse anderer, weiter entfernt singender Schlossermeisen klang wie ein Echo auf den »Vorarbeiter«, der ganz in meiner Nähe sein »Hämmerchen« schwang. Erste Buchfinkenmännchen prügelten sich im Waldgras.
Der gelbe unsichtbare Vogel Bülow, der Pirol, in den Baumwipfeln, in der Ferne der Kuckuck und im weiß blühenden Schlehengebüsch die Nachtigall beendeten diese schönste Zeit des Jahres im Wald. Die Nachtigall und andere Bodenbrüter brachten die Mücken mit, oder war es umgekehrt? Myriaden von Mücken – von denen leben diese begnadeten Sänger. Deshalb sind sie da. Sie leben von den Mücken, die von uns leben. Die Mücken schienen am fremden Geruch von Mückin interessiert, aber auch verwirrt. Sie waren die besten Antreiber. Solange ich mich bewegte, stachen sie nicht, mit oder ohne Mückin. Wenn ich eine Pause einlegen, die Hobelklinge reinigen und schärfen mußte und mir Notizen zu Gedichten und für das Tagebuch machte, suchte ich mir stets einen Sonnenflecken. Mücken mögen keine Sonne. Hatte ich schnell herausgefunden. Aber an schwülen Tagen, unter bedecktem Himmel, waren die Mücken besonders aggressiv. Flogen einem zu zehnt auf einmal ins Gesicht und auf andere unbedeckte Hautstellen. Summten nicht lange, sondern stachen sofort zu. Ausgerechnet an solch einem Tag hatte ich das Mückin vergessen! Ich brüllte und schlug mir mit den steifen ledernen Handschuhen ins Gesicht. Immer wieder. Mit dem Rad zehn Kilometer nach Hause und wieder zurück fahren? Dann war der halbe Tag vorbei. Das Harz lief an solchen Tagen am besten.
Im Hochsommer lösten andere Blutsauger, die kleinen flinken Bremsen, das ersterbende Mückenvolk ab. Im Verein mit Blind- und Rinderbremsen. Und alle sind von unerforschten Parasiten befallen, die sich gern im menschlichen Körper austoben. Man weiß und ignoriert es. Ich vertraute meinen Freßzellen im Blut und blieb im Wald.
Die sich wie Stubenfliegen gebenden Wadenstecher und kleine, überall hinkriechende Gnitzen machten den Bremsen bald Konkurrenz. Im Herbst die Hirschlausfliegen. Werfen nach der Landung die Flügel ab. Jucken im Bart und Nackenhaar, sind aber nicht zu fassen. Wie aus flachem Leder mit Widerhaken gemacht, ich kratzte über sie hinweg. Erst abends in der Wanne schwammen sie mit dem Seifenwasser davon.
Wie die Mücken begannen sich auch die Baumschädlinge zu regen. Die Bäume mußten nun ihre etwa achtzig Harzkanälchen pro Quadratmeter Splintholz unter der Rinde und Bastschicht gefüllt halten. Auch gegen mich, den Harzer. Ich war der größte Waldschädling.
Zecken und Milben hatte ich fast das ganze Jahr als treue Gefährten bei mir. Was war schlimmer, die stehende, fast unerträgliche, dehydrierende Hitze im Hochsommer unter den knisternden, Terpentin verströmenden Wipfeln des Kiefernhochwalds oder der beißende Frost in kalten Wintern? Je nach Höhe der Harzlachte stand oder kniete ich im Winter beim Glätten der Rinde vorm Baum. Feuer machen und es unterhalten war Romantik. Keine Zeit. Leistungslohn. Der Rücken schwitzte. Trotz dicker Schafwollsocken und Einlagen in den Filzstiefeln kroch der Frost in die unbewegten Zehen. Auf, auf, einen Hundertmeterlauf über den Waldweg. Aber nicht zu schnell, weil die Lunge sonst schmerzte. In den kurzen Eßpausen tunkte ich die hartgefrorenen Klappstullen in den Becher mit heißem Tee aus der Thermospulle. In solch einem Winter las ich abends in der Zeitung die Zehnzeilennotiz von einem erfrorenen Waldarbeiter in Polen. Kann nur ein Harzer gewesen sein, schoß es mir durch den Kopf. Als man ihn endlich suchte, war er wohl schon steif. Natürlich hatte ich für alle Fälle Streichhölzer, eine Axt und Kohleanzünder dabei, damit das Entfachen schneller ging.
Von all dem wußte ich nichts, als ich im Wald zu arbeiten begann. Waren es die glitzernden Harztropfen in der Frühlingssonne? Der klagende Ruf des vom Schnabel bis zur Schwanzspitze einen halben Meter langen Schwarzspechts? Ich wollte, ich mußte das machen. Wald. Im Wald arbeiten. Waldarbeiter. Das wollte ich sein!
Wir mußten als einzige Forstarbeiter allein im Wald zurechtkommen. Die Anteile, die der einzelne für eine Gruppe erbrachte, waren in einer mit jungem Unterwuchs bestandenen Harzung schlecht überprüfbar und kaum abzurechnen. Es hatte zu oft Streit gegeben.
Fünfzig Pfennig bekam ich pro Kilogramm Harz. Um in der Saison etwa tausend Mark im Monat zu verdienen, damit es zur Überbrückung des geringeren Lohns im Winter reichte, mußte ich jeden Tag tausend hundertjährige Kiefern anreißen. Das waren fünftausend Kiefern pro Woche. Im Sekundentakt rechts und links der Tropfrinne zwei halbzentimetertiefe und unterarmlange Schnitte. Direkt ins helle, lebende Splintholz. Dort durchtrennte ich die Harzkanälchen. Das zähe, noch glasklare Harz tropfte dann einige Stunden über den Riß und die Tropfrinne in den Auffangtopf, bis der Baum die Wunde durch Kristallisieren des Harzes schloß.
Dann den nächsten Baum im Unterwuchs finden, anreißen, Reizmittel aufsprühen, Regenwasser aus den Töpfen kippen, das Tropfblech säubern, damit nichts danebenfließt, volle Töpfe gegen leere wechseln und so weiter und so weiter. Wenn die Klinge an einem eingewachsenen Aststumpf brach, war man erst mal entsetzt. Dann so richtig durchfluchen. Eine neue Klinge einschrauben, schleifen, feilen – manchmal schnitt sie erst nach einer Woche oder vierzehn Tagen wieder richtig. Vielleicht gar nicht. Als es in den letzten DDR-Jahren keinen Schwedenstahl mehr für die staatliche Forstwirtschaft gab, schnitten die noch mal so dicken Klingen schlechter. Wir machten trotzdem weiter.
Bezahlt bekam ich nur das abgelieferte Harz. Wegegeld, Erschwernis- und Reparaturzuschläge, Regenstunden? Pfennigbeträge. Augenwischerei. Bei Regen konnte man nicht harzen. Wasser spülte das frische, leichte Harz aus dem Sammeltopf. Pech, wenn es unmittelbar nach getaner Arbeit regnete. Der Tag war verloren. Die zwei, drei Regenstunden monatlich mit einem niedrigen Lohnsatz ersetzten den Verlust nicht mal annähernd.
Der Kiefernhochwald steht im Havelländischen Flußauengebiet zumeist auf einer sogenannten Dunke. Ein großer, kaum merklich ansteigender Sandhügel, der von tiefergelegenen Erlenbrüchen und Weidenmooren umgeben ist. Das Fenn. Meine Kiefernharzung, in der ich am längsten von 1983 bis 1990 gearbeitet hatte, wurde ebenfalls durch solch ein Fenn begrenzt. Die Pelze. Ein sprechender Name.
Als ich das Abenteuer Harzung begann, stolperte ich aus der halbdunklen Fabrikhalle in den lichtdurchfluteten Wald. Mein nun täglicher Kampf ums Überleben in der Einsamkeit fiel mir leichter als vielen anderen, die den Job bald wieder aufgaben. Vielleicht, weil ich mich daran erinnerte, daß der Mensch wohl viele Tausende von Jahren im Hochwald und den angrenzenden Sümpfen zu Hause war? Alles wiederholt sich, wenn auch auf einer anderen Ebene. Ich fuhr ja nach Feierabend mit dem Rad in unsere ferngeheizte »Platte«, ins »Steintälchen « zurück. Drei fünfstöckige Mehrfamilienhäuser aus Beton, in der Vorstadt an einem Havelsee.
Am Tage wurde ich schnell wieder zum Jäger und Sammler. Das Harz, durch die ständige Bewegung zu Teer in die Haut eingekneteter Balsam, ließ sich abends nicht einfach mit Wasser und Seife entfernen. Diese Kruste mußte mit Margarine eingerieben und dann mühsam abgepolkt werden. Vielleicht hatte Siegfried in Wahrheit auch so in frischem Kiefernbalsam gebadet?
Im Winter mußte ich die fünftausend Bäume auf die Sommersaison vorbereiten. Mit der Axt und einem Bügelschaber glättete ich die schrundige, am Stammfuß bis zu dreißig Zentimeter dicke Borke. Erst dann konnte ich im Sommer mit der einen Zentimeter langen, U-förmigen Klinge des Harzhobels die Splintschicht des Kiefernstamms erreichen. Um das zu schaffen, durfte die Borke auf der Arbeitslachte nur zwei bis drei Millimeter dick sein. Haute ich wie in den ersten Wintern den Bügelschaber stellenweise bis zur empfindlichen Bastschicht über dem Splintholz durch, bildeten sich im Frühjahr scheußlich schmierige Harzgallen. Die Hobelklinge rutschte aus. Das Harz lief aus jener Rutschbahn auf den Stamm und verhärtete ihn noch zusätzlich. Es war zum Heulen. Der Zeitpunkt, an dem die meisten Neulinge den Wald wieder verließen.
Ließ ich aber zur Sicherheit im Winter zuviel Rinde stehen, rutschte die Klinge auf der brüchigen Borke auch weg oder erreichte das Splintholz nur mit der Spitze. Es bildete sich zwar eine U-förmige Ablaufrinne, das Harz versickerte aber in der Borke und verhärtete später die restlichen Arbeitsflächen. Das provozierte ebenfalls häßliche Harzgallen und fast glashartes Holz.
Das Glätten der Borke, Röten genannt, war eine schwere, schlecht bezahlte und doch filigran auszuführende Arbeit. Die Fluktuation in der Harzung war hoch. Dreißig Prozent Abgang etwa, jährlich. Nach drei Jahren gehörte ich schon zu den »alten Hasen«.
Mitte April 1990 waren wir Harzer rund um die Stadt Brandenburg noch guter Dinge. Auf meiner ersten Harzung wuchsen schon wieder kleine, hüfthohe Kiefern. Die Füchsin hatte ihren Bau wieder bezogen. Der Ameisenhaufen mit den winzigen Harzbröckchen zwischen den Kiefernnadeln war wieder aufgebaut. Die Kiefer mit dem Seeadlerhorst war stehengeblieben. Sie brüteten noch. Ich sah nur den Schwanz der Majestät über den Nestrand ragen, während der scheue Partner hoch über uns kreiste, den Bodenfeind anzeigend.
»Kennt ihr mich denn nicht mehr?«
Ende Mai 1990, nach vier Rissen, also vier Wochen, kam der Harzmeister zu meiner Pelzeharzung raus. Er sagte mir mit ernster Miene, was er den anderen auch schon gesagt hatte – die Harzung wurde wegen der anstehenden Währungsunion eingestellt: »Eine Tonne Kolophonium und andere Harzspaltprodukte aus Sibirien, dem Balkan, den Subtropen und Tropen importiert kostet 250,– DM. Die Union haben wir ab dem ersten Juli. Die Produktion von Harz bei uns kostet pro Tonne 1000,– DM. Haben wir ausgerechnet.«
Mir wurden die Knie weich. Ich setzte mich an den Fuß jenes Stammes, an dem ich meinen letzten Riß tat. Als letztes sollten wir die Harztöpfe ausleeren und mitsamt den eisernen Topfhaltern aus dem Wald schaffen. Wir würden beim jeweiligen Förster für Wegebau, Holzeinschlag und Kulturpflege eingesetzt. Motorsägen, Arbeitsschutzkleidung und anderes Werkzeug sollten wir selbst kaufen und pflegen. Wie angeblich in der Bundesrepublik so üblich. Ich ging auf die fünfzig zu und es wurde von Entlassungen gemunkelt. Der Harvestar, eine schwedische Baumfällmaschine, würde kommen.
Ganz ungelegen kam mir die Wende im Wald nicht. In den vergangenen beiden Jahren hatten sich die Hexenschüsse vermehrt. Irgendwann müßte ich sowieso raus. In der Zeitung entdeckte ich ein Nachtwächterangebot. Endlich Zeit zum Schreiben. Tagebuchfragmente auf der »Erika« abtippen und vervollständigen.
Nach einem Jahr war der Großhandelsbetrieb abgewickelt. Dubiose Wachschützer mit Waffenscheinen und Schäferhunden bissen uns vier Nachtwächter, im normalen Schichtbetrieb arbeitend, im wahrsten Sinn des Wortes raus. Wilder Osten.
Etwas von meinen Tagebüchern aus jenem seltsamen, kaum bekannten Beruf habe ich in jenen Nächten im Pförtnerhäuschen immerhin fertigbekommen. Im sogenannten Schreibtischfach schliefen meine direkt im Wald, im Rhythmus der Arbeit und im Laufen entstandenen Gedichte bis heute. Wie auch meine Tagebuchaufzeichnungen. Die Notizen dazu machte ich mir mit einem Bleistiftstummel auf Zetteln aus meiner Jackentasche. Im Wald geschah eigentlich immer irgend etwas Aufschreibenswertes. Ich war dort auch nie wirklich allein. Wie an diesem für mich merkwürdigen Tag, ein halbes Jahr vor der politischen Wende Ostdeutschlands, die auch die Welt veränderte. Und den Wald.
Da ich alles noch so erinnerte, als würde ich es jetzt erleben, habe ich es auch so auf- und fertiggeschrieben.
(…)
SINN UND FORM 5/2020, S. 597-613, hier S. 597-602
Wackwitz, Stephan
»Don’t be sadder than necessary«.Tagebücher 1989/90, S. 614
Brückner, Jutta
Kainsmal, S. 629
Fontaine, Naomi
Nutshimit, S. 636
Nutshimit ist das Landesinnere, das Land meiner Vorfahren. Jede Familie kennt ihr Waldstück. Die Seen sind Straßen. Die Flüsse zeigen den Norden (...)
Fontaine, Naomi
Nutshimit
Nutshimit ist das Landesinnere, das Land meiner Vorfahren. Jede Familie kennt ihr Waldstück. Die Seen sind Straßen. Die Flüsse zeigen den Norden an. Wer unvorsichtig ist und zu tief in den Wald eindringt, kann sich an den Zugschienen orientieren.
Nutshimit, ein Ritual für Karibu-Jäger. Klare Luft, für die Alten unverzichtbar. Seit ihre Beine an Kraft verloren haben, zieht es sie nur noch zum Atmen in die Wildnis.
Nutshimit, ein unbekanntes, aber nicht feindseliges Territorium für jemanden, der seinen Geist zur Ruhe kommen lassen will. Früher waren diese Wälder von Männern und Frauen bewohnt, die mit den Händen nahmen, was die Erde ihnen schenkte. Sie leben nicht mehr, aber sie haben auf Felsen, Wasserfällen und grünen Fichten ihren Abdruck hinterlassen, ihren Blick.
Nutshimit bringt dem Verwirrten Frieden. Inneren Frieden, nach dem er sich verzweifelt sehnt. Stille, nachdem er nächtelang seine Angst herausgeschrien hat, ohne von irgendwem gehört zu werden. Die Stille des Windes, der durch Tannennadeln streicht. Die Stille eines Rebhuhns, das neben Artgenossen durch den Wald stakt. Die Stille eines Bachs, der unter meterhohem Schnee seinen Weg fortsetzt.
Der junge Mann möchte hören, was das Land seiner Vorfahren ihm zu sagen hat. An diesem Morgen besteigt er den Zug.
*
Sie sagen: Wir nehmen zum Zug. Sie würden nie sagen: Wir gehen zum Bahnhof, zu den Gleisen. Den Zug nehmen bedeutet, weit wegzufahren. Sich die lange Reise durch Nutshimit anzueignen. Man nimmt den Zug, weil er ein vertrautes Transportmittel ist. Das einzige, das einen durchs Landesinnere nach Norden bringt. Unterwegs macht er mehrmals halt, um Leute auf freier Strecke ein- oder aussteigen zu lassen. Der Zug endet in Matimekush-Lac John, der Stadt des Eisenerzes.
Das kleine Gebäude, das als Bahnhof dient, ist alt und mit einem grauen Blechdach gedeckt. Die Wände sind beige. Drinnen ist es im Winter sehr kalt, weil die Leute die Tür offenlassen. Ein paar verlorene orange Plastikstühle, um auf den Zug zu warten, der zweimal pro Woche frühmorgens ankommt. Die Fahrgäste warten draußen, rauchen eine Zigarette, trinken einen Kaffee mit viel Zucker. Niemand ist ungeduldig. Alle wissen, daß die Reise bald losgeht, entweder zu einer der Jagdhütten, die unweit der Eisenbahnstrecke im Wald verstreut sind, oder nach Matimekush. Familien mit Kindern und alte Leute reisen am liebsten in der kalten Jahreszeit mit dem Zug. Sie haben ihre dickste Winterjacke dabei, mehrere Schachteln Zigaretten und Kartons voller Lebensmittel, genug für eine Woche. Die Männer richten sich nach der Jagd, sie nehmen den Zug, wenn sie das Bedürfnis nach Abgeschiedenheit haben. Sie haben weniger Gepäck, außer Gewehren, Schneemobilen, warmer Kleidung und Benzinkanistern nehmen sie nichts mit. Kein Fleisch, sie vertrauen auf ihr Jagdglück, eine Frage der Ehre. Keinen Alkohol, aus Respekt vor der Erde. Zum Abschied Umarmungen, die Babys und Kleinkinder auf dem Arm, man sagt bis bald, man weint nicht, denn man weiß, daß Männer, die in den Wald ziehen, dort Ruhe finden. Man bedauert sie nicht, man beneidet sie. Sie heben grinsend die Hand, das Mittagessen in einer Dose. Es ist acht Uhr. Der Beginn einer langen Reise, die ein paar Stunden, den ganzen Tag oder bis spät in die Nacht dauert, je nachdem, wo sie hinfahren. Der Zug setzt sich langsam in Bewegung, beinahe lautlos, wie um uns seine Bedeutung spüren zu lassen.
Auf dem Rückweg kommt er immer im Dunkeln an. Eine Menschenmenge erwartet ihn, als wären die Jäger monatelang fortgewesen. Die meisten haben nur eine Woche in der Wildnis verbracht. Einige auch länger, sie werden am Abend später zu Bett gehen. Jeder wird abgeholt. Viele Hände tragen das Gepäck. Umarmungen, glückliche Gesichter. Die wichtigsten Fragen werden gestellt: Und, wie viele Rebhühner, Hasen, Karibus hast du erlegt? Eines nach dem anderen fahren die Autos ab, vollbesetzt, voller Leben.
*
Der Sommer kehrt wieder, der Sohn kommt nach Hause. Er hat sich verändert. Er ist älter geworden. Die Mutter schließt den jungen Mann in die Arme. Sie weint, weil sie seine Stimme, seine Art nicht wiedererkennt. Das ist der Wechsel der Jahreszeiten. Sie hofft, daß es lange Sommer bleibt.
*
Der Mann steht kerzengerade da, in schwarzem Anzug und Krawatte, mit einem ehrgeizigen Lächeln. Er steht kerzengerade da, und er ist groß. Einen Arm hat er um die Frau neben sich gelegt, drückt sie an sich, eine kleine Frau mit dunkler Haut und dunklem Haar, im weißen Kleid, die mit geschlossenen Lippen lächelt. Hinter ihnen ist es Herbst …
*
Ein toter grauer Pelz vor blutrotem Schnee. Geschossen mit dem Gewehr, das der Innu über der Schulter trägt, seine schmalen Augen schimmern, es ist der Stolz des Mannes auf seine Beute, wie ein kleiner Junge, die Lippen zusammengekniffen, eine Hand um den Hals des Tieres. Ein Knie am Boden, bereit loszulaufen. Ein Krieger, immer auf der Hut …
*
Im Kopf Gelächter. Im Kopf Gespräche über die Wahl des Reservatschefs, über Bücher, über die neuen Schülerinnen und Schüler, über Kinder, die groß werden, alles durcheinander. Die Verdoppelung könnte ein Hinweis sein, rote Schlucke, weiße Schlucke. Längst ohne jeden Geschmack. Ohne jeden Geruch. Ungenaue, dabei doch so wichtige Worte kamen über die Lippen und landeten vor der Haustür des Nachbarn. Filmriß.
*
Die Aufsässigen leisten Widerstand, wehren sich, ihr Kampf: das eigene Fleisch und Blut großziehen. Damit sie zu Männern und Frauen werden, zu einer Nation, die ihnen ähnelt, die niemanden unterdrückt, die fortbesteht, die lebt.
Der alte Mann mit der weißen Haut hat seinen Federschmuck aufgesetzt und seine bunten Kleider angezogen. Er ist in die Mokassins geschlüpft, die ihn zu einem Indianer machen. Die traditionelle Pfeife in der Hand, begibt er sich zu Verhandlungen mit dem Staatschef.
*
Mit vierzig entdeckte sie ihre wahre Natur. Mutter, mehrfache Großmutter. Eine Frau mit Erfahrung, mit vielen Berufen, aber keine Karrierefrau. Ehemaliges Mitglied des Reservatsrats. Ehemalige Kandidatin für das Amt des Reservatschefs, unterlegen, nicht aber besiegt. Freundlicher Blick, vertrautes Lächeln. Mit vierzig glaubte sie, sich selbst zu kennen, und brach mit einer kleinen Gruppe auf, um dem Weg ihrer Vorfahren zu folgen.
Im Frühjahr kehrten die Nomaden in ihr Dorf zurück, der Fluß war ihr vorgezeichneter Weg. Sie überwanden Berge und Täler, ruderten, wanderten, trugen an Stromschnellen oder zwischen zwei Seen das Kanu umgedreht auf den Köpfen. Sie waren es nicht anders gewohnt, sie mußten eins werden mit der Natur, um zu überleben. An ihre Stelle treten, um zu existieren.
Sie war nicht bereit für das, was sie erwartete. Wer wäre das schon? Der Zug hatte sie am Meilenstein 150 abgesetzt. Sie hatten in einer Jagdhütte zu Abend gegessen. Das Feuer knisterte im Ofen, es war angenehm warm. Der Schornstein rauchte um die Wette mit den vier Frauen und dem jungen Mann, die sich fröhlich unterhielten. Alle gingen früh schlafen. Im Morgengrauen würden sie ihre Sachen packen und aufbrechen.
Es war der Anfang und das Ende von etwas. Wandern. Erst einmal galt es, einen Fuß vor den anderen zu setzen, den Rucksack geschultert, und sich Zuversicht auf die Lippen zu heften. Zum Fluß wandern. Paddeln. In einem Kanu kniend, das diese Strecke schon tausendmal zurückgelegt hatte. Dem Fluß folgen, in seinem Lauf den Weg erkennen, den Weg der Ahnen, ihren eigenen Weg.
Ein paar Tage später wollte sie zurück, in ihr Haus, in ihr Bett, zu ihrem Liebsten, in die Wärme, wollte sich sauber und frisch fühlen und morgens einen Kaffee mit Milch und Zucker trinken. Alles in ihr sträubte sich dagegen, wie eine Nomadin zu leben und auch nur einen Moment länger das Lebensnotwendige auf dem Rücken zu tragen. Sie war nicht wie die Frauen früher, für die kein Tag zu lang, keine Anstrengung zu groß war. Die jeden Berg bestiegen, als wäre es der erste. Wie gegen die Natur ankommen, die eigene Natur?
Dann dämmerte der Morgen, genauso trocken wie die Nacht. Zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch holte sie den kleinen Taschenspiegel hervor, den sie aus Eitelkeit oder Wehmut angesichts dessen, was sie zurückließ, mitgenommen hatte. Sie sah, daß ihre Haut von der Sonne gebräunt war, das Haar fettig, die Augenbrauen ungezupft, und daß sie müde war. Sie ärgerte sich über ihr Spiegelbild, und ihr Gesicht veränderte sich. Ein paar Sekunden lang glaubte sie einen vertrauten Willen aufblitzen zu sehen, den wohlbekannten Blick der Frau, die sie zur Welt gebracht hatte. Die Augen ihrer Mutter in ihrem eigenen Gesicht. Herausforderung, Kampf, Suche, aber keine Niederlage, nie mehr. Mit dem nächsten Atemzug nahm sie zum ersten Mal ein Stück Vergangenheit in sich auf, und es gesellte sich zu dem Frieden des neuen Tages.
Paddeln, wandern, das Kanu umtragen, das Zelt aufschlagen, essen, schlafen, packen, paddeln. Das war jetzt ihr Leben. Zumindest für eine Weile. Eine Leihgabe ihrer Vorfahren. Ein freiwillig angenommenes Erbe. Der Weg war vorgezeichnet, tausend andere hatten ihn vor ihr mit dem Kanu zurückgelegt. Sie mußte sich nur von ihnen führen lassen. An die Verheißung eines milderen Morgens glauben. Mit eigenen Händen das kristallklare Wasser schöpfen. Frei sein, mit der einzigen Einschränkung, überleben zu müssen. Umgeben von hochgewachsenen Fichten und knorrigen Laubbäumen, sah sie die Spur des Hasen und stöberte das lautlose Rebhuhn auf. Sie dankte den vier anderen, daß sie durchgehalten hatten. Sie dankte dem Himmel für die lauen Maiennächte. Bis zum letzten Schritt dankte sie dem Schöpfer, daß er sie geführt hatte.
(…)
Aus dem Französischen von Sonja Finck
SINN UND FORM 5/2020, S. 636-646, hier S. 636-639
Binder, Elisabeth
Auf Goldgrund. Brigitte Kronauers Figurenkunst, S. 647
Keun, Irmgard
»Sie wollen mich nun mal nicht in Berlin«. Fünf unbekannte Briefe an Franz Hammer. Mit einer Vorbemerkung von Michael Bienert, S. 656
Popović, Tihomir
Drei Préludes. Gedichte , S. 666
Schnebel, Dieter
Zu Adorno, S. 668
Andresen, Anne
»Er hat in keiner Weise an den Erfolg geglaubt«. Gespräch mit Theodor W. Adorno über Alban Berg (1955), S. 670
Padel, Ruth
Mit Beethoven aufwachsen. Gedichte, S. 679
Szlosarek, Artur
Kafka und die Puppe. Prosa und Gedichte, S. 686
Breisky, Arthur
Harlekin – kosmischer Clown. Eine Einführung in das Leben der Dichter. Mit einer Vorbemerkung von Hans-Gerd Koch, S. 689
Der verschollene Arthur Breisky. Eine Vorbemerkung Amerika war für den jungen Franz Kafka ein verlockendes Ziel. Reiseberichte und Erzählungen (...)
Breisky, Arthur
Harlekin - kosmischer Clown.
Eine Einführung in das Leben der Dichter
Der verschollene Arthur Breisky. Eine Vorbemerkung
Amerika war für den jungen Franz Kafka ein verlockendes Ziel. Reiseberichte und Erzählungen von Verwandten, die dorthin gereist oder gar ausgewandert waren, regten seine Phantasie an. Schon in jungen Jahren versuchte er sich an einer Erzählung, die in Amerika spielen sollte: »Einmal hatte ich einen Roman vor, in dem zwei Brüder gegeneinander kämpften, von denen einer nach Amerika fuhr, während der andere in einem europäischen Gefängnis blieb. (…) In den paar Zeilen war in der Hauptsache der Korridor des Gefängnisses beschrieben, vor allem seine Stille und Kälte; über den zurückbleibenden Bruder war auch ein mitleidiges Wort gesagt, weil es der gute Bruder war.« (Tagebuch, 19. November 1911)
Über die in der Eintragung erwähnten Zeilen gelangte der Text wohl nie hinaus, zumal ein Onkel, in dessen Gegenwart Kafka daran geschrieben hatte, sie gnadenlos verriß. Amerika als literarischen Ort gab er allerdings nicht auf. In den Wintermonaten 1911/12 unternahm er einen weiteren Anlauf zu einem Amerika-Roman. Es entstanden »etwa 200 [Seiten] einer gänzlich unbrauchbaren (…) Fassung der Geschichte«, berichtet er Felice Bauer am 9. / 10. März 1913. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet er bereits seit einem halben Jahr an einer neuen Version, von der er seiner Briefpartnerin am 11. November 1912 erzählt hatte: »Die Geschichte, die ich schreibe und die allerdings ins Endlose angelegt ist, heißt, um Ihnen einen vorläufigen Begriff zu geben ›Der Verschollene‹ und handelt ausschließlich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Vorläufig sind 5 Kapitel fertig, das 6te fast. Die einzelnen Kapitel heißen: I Der Heizer II Der Onkel III Ein Landhaus bei New York IV Der Marsch nach Ramses V Im Hotel occidental VI Der Fall Robinson. – Ich habe diese Titel genannt als ob man sich etwas dabei vorstellen könnte, das geht natürlich nicht, aber ich will die Titel solange bei Ihnen aufheben, bis es möglich sein wird.«
Es gibt zahlreiche Studien zu den Quellen für die Romanhandlung. Fest steht, daß Kafka vieles verwendet und verwoben hat, und möglicherweise geht auch der rätselhafte, in manche Sprachen kaum zu übersetzende Titel »Der Verschollene« auf Berichte von realen Ereignissen zurück, von denen er erfahren hat.
Gegen Ende der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts war der Romanautor, Übersetzer und Literaturkritiker Arthur Breisky eine auffällige Erscheinung im kulturellen Leben Böhmens: Aus bescheidenen Verhältnissen kommend, pflegte er den Gestus des aristokratischen Dandys. Am 14. Mai 1885 in Roudnice nad Labem geboren, in Prag und Louny aufgewachsen, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Zollbeamter in Teplice und Děčín. Seine eigentliche Berufung sah er allerdings in der Literatur. Neben seiner Muttersprache Tschechisch beherrschte er Deutsch und Englisch fließend, übersetzte aus beiden Sprachen und gehörte ab 1908 zum Mitarbeiterkreis der »Moderní revue«, der wohl wichtigsten tschechischen literarischen Zeitschrift jener Zeit. Dort erschienen nicht nur seine Literaturkritiken, sondern 1909 auch seine Essays »Quintessence dandysmu« und »Harlekýn – Kosmický clown«. Kafka und sein Freund Max Brod gehörten zu den Lesern dieser Zeitschrift, vor allem Brod pflegte Kontakte zu Mitarbeitern. Es gibt zwar keinen Hinweis darauf, daß Kafka Breisky jemals persönlich begegnet ist, aber zumindest seine Texte waren ihm wahrscheinlich bekannt – und auch von seinem Schicksal dürfte er erfahren haben: Das kostspielige Wochenendleben, das Breisky als Dandy in Prag und Dresden führte, überstieg bei weitem seine finanziellen Möglichkeiten. Hochverschuldet floh er im Mai 1910 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in die Vereinigten Staaten, wo er einen Monat später zu Tode kam.
In einem Brief an Rudolf Breisky vom 19. November 1910 berichtet František Francl aus Amerika, was er über die Todesumstände des Bruders Arthur herausgefunden hat. Demnach hatte Breisky in seiner Geldnot in einem deutschen Krankenhaus in New York eine Stelle als Liftboy angenommen und war dort am 10. Juli 1910 tödlich verunglückt. Der Direktor des Krankenhauses habe gesagt, es sei Breiskys eigene Schuld gewesen, er habe beide Türen offengelassen, die zum Treppenhaus und die zum Lift. Es sei während der Nacht geschehen, der Kopf sei bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert worden. Auf diese Informationen stützt sich offenbar auch Eugen Nozar in einem Nachruf, der am 18. Februar 1911 erschien und in dem er schreibt: »Er starb paradox: Beamter und tschechischer Schriftsteller – zerquetscht von einem Aufzug in einer deutschen pathologischen Einrichtung am zweiten Tag nach Antritt seines Dienstes.«
Nicht zuletzt wegen seines Hangs zur Selbstmystifikation gaben die obskuren Umstände von Breiskys Tod schon bald Anlaß zu Spekulationen. Es wurde vermutet, er habe seinen Tod mit einer aus der Pathologie entwendeten Leiche inszeniert und lebe unter neuer Identität. Bis in die dreißiger Jahre erschienen Berichte, man habe ihn in Afrika oder Amerika gesehen; Ivan Růžička spekulierte 1964 in »Kulturní tvorba« gar, hinter dem mysteriösen Autor B. Traven, der in Mexiko lebte und auf Deutsch schrieb, verberge sich kein anderer als Breisky: Rückwärts gelesen stehe B. Traven für NEW ART(hur) B(reisky).
Von den 1911 in Prag kursierenden Informationen und Spekulationen, die um die Begriffe »Liftunfall« und »verschollen« kreisten, läßt sich indes eine Linie zu Kafkas in New York und Umgebung beginnendem Roman »Der Verschollene« ziehen. Dessen Protagonist Karl Roßmann wird im Kapitel »Im Hotel occidental« eine Stelle als Liftboy angeboten: »›Liftjunge möchte ich ganz gerne sein‹, sagte Karl nach einer kleinen Pause. (…) ›Sind nicht Sprachkenntnisse erforderlich?‹ fragte er noch. ›Sie sprechen Deutsch und ein schönes Englisch, das genügt vollkommen.‹«
Anders als Arthur Breisky hat Karl Roßmann sein Englisch allerdings »erst in Amerika in zweieinhalb Monaten erlernt«. Gegen die strenge »Aufzugsordnung« verstößt aber auch er, und die Mißachtung von Dienstvorschriften führt schließlich zu seiner Entlassung und weiterem sozialen Abstieg. Karl Roßmanns Spur in Amerika verliert sich in einem Eisenbahnzug des »Teaters von Oklahama«. Ob er sein Ziel je erreicht, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob es tatsächlich Breisky war, der im Schacht eines Krankenhauslifts zu Tode stürzte. Beide bleiben verschollen in Amerika.
Hans-Gerd Koch
SINN UND FORM 5/2020, S. 689-690
Iłłakowiczówna, Kazimiera
Das Attentat auf den Präsidenten. Mit einer Vorbemerkung von Lothar Quinkenstein 696, S. 696
Ernst, Rudolf
Die Familie Mann und das grüne Gift , S. 703
Pietraß, Richard
Eine nicht erträumte Heimat. Vorstellungsrede an der Darmstädter Akademie, S. 705
Neuner, Michael
Noch ein Wanderer. Mutmaßungen über Franz Schubert und Heinrich Heine, S. 707
Kohlhaase, Wolfgang
Nachrichten aus der Welt. Das Kino in der DDR, S. 711