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Heftarchiv – Leseproben

Kalka, Joachim

1/2011 | »Das Unterirdische geht so natürlich zu als das Überirdische«. Zur Mythologie der geheimen Gesellschaften

Was hat es auf sich mit den geheimen Gesellschaften? Der vielleicht erste Historiker, der sich sine ira et studio mit ironisch-professioneller Trockenheit dieses Themas annahm, J. M. Roberts aus Oxford in »The Mythology of the Secret Societies« (1972), schließt mit dem Fazit: »Obwohl zwischen 1750 und 1830 in Europa geheime Gesellschaften in großer Zahl existierten und versuchten, die politischen Ereignisse zu beeinflussen, lag ihre hauptsächliche Bedeutung in dem, was die Leute von ihnen glaubten. Dies war stets wichtiger als das, was diese Sozietäten tatsächlich taten, und ihre (...)

Leseprobe

1/2013 | Die bösen Ärzte. Eine Montage

Wissen Sie nicht, was die erste Pflicht des Mediziners ist?
Die erste Pflicht ist es, um Verzeihung zu bitten.
Ingmar Bergman, »Wilde Erdbeeren« Auch damals ihr, ein junger Mann,
Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
Gar manche Leiche trug man fort,
Ihr aber kamt gesund heraus.
Goethe, »Faust I, Vor dem Tor« Von keinem anderen Berufsstand erwarten wir, wenn es darauf ankommt, so viel wie von den Ärzten. Unsere Hoffnungen heften sich, sind wir einmal aus der bewußtlosen Routine unseres unauffällig funktionierenden Organismus herausgerissen und stehen – (...)

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Kanterian, Edward

3/2008 | Über den unterschiedlichen Wahrheitsgehalt von Holocaust-Tagebüchern

Im Oktober 1941 wurden auf dem Friedhof der südgalizischen Stadt Stanisławów über zehntausend Juden von deutschen Polizeieinheiten und ukrainischen Hilfstruppen ermordet. Die Überlebenden wurden in ein neuerrichtetes Ghetto gesperrt. Unter ihnen war die junge Eliszewa Binder, die bald begann, den Ghettoalltag in ihrem Tagebuch zu dokumentieren. Die letzte Eintragung stammt vom 19. Juni 1942, vermutlich ihr letzter Lebenstag, denn das Tagebuch wurde in einem Straßengraben in der Nähe des Friedhofs gefunden, auf dem das Massaker stattfand. Zehn Tage zuvor hatte sie angesichts der (...)

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Karlauf, Thomas

2/2009 | Meine Jahre im Elfenbeinturm

I   Die Fahrkarte habe ich aufgehoben. Das kleine ockerfarbene Pappstück, 3 x 5,5 cm, liegt in meiner Devotionalienschachtel: einfache Fahrt 2. Klasse von Frankfurt (Main) Hbf nach Amsterdam, ausgestellt auf den 7. August 1974, Preis DM 56,60. Der Zug trug den herrlichen Fernwehnamen »Wien-Holland- Expreß«. In Wiesbaden wurde die Lok ans andere Ende gespannt, dann ging es gemütlich den Rhein entlang. Zwei Monate vorher hatte ich Abitur gemacht. Weil ich in Griechisch ohnehin verloren war, hatte ich mich mit zwei Klassenkameraden zusammengetan, um es wenigstens in Mathematik noch auf (...)

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4/2009 | »Nie mehr zurück in dieses Land.« Ein Pappkarton aus Harvard

Am 7. August 1939, dreieinhalb Wochen vor dem deutschen Überfall auf Polen, erschien in der »NewYork Times« unter der Überschrift »Prize for Nazi Stories« ein ungewöhnlicher Aufruf. Wissenschaftler der Universität Harvard seien auf der Suche nach Augenzeugenberichten über das Leben in Deutschland vor und nach 1933 und hätten zu diesem Zweck einen Wettbewerb ausgeschrieben. Das Preisgeld betrage insgesamt tausend Dollar, zur Teilnahme berechtigt sei jeder, der aufgrund eigener Erfahrungen berichten könne, wie sich der Alltag seit dem Machtantritt Hitlers verändert habe. Die Texte (...)

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1/2010 | Stauffenberg. Eine Motivsuche

Nichts unheimlicher im Leben der Völker als das
langsame Nachwirken der historischen Schuld. Treitschke   Wie die meisten Autoren, die sich außerhalb des germanistischen Seminars heute mit Stefan George beschäftigen, stieß auch der amerikanische Literaturwissenschaftler Robert Norton am Schluß seiner vor einigen Jahren erschienenen voluminösen Studie »Secret Germany« auf Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Nachdem er 750 Seiten lang mit inquisitorischem Eifer alle Indizien zusammengetragen und so aufbereitet hatte, daß ein schnurgerader Weg vom Dichter zum »Führer« ging, (...)

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2/2011 | Meister mit eigenem Kreis. Wolfgang Frommels George-Nachfolge

Ich habe es versäumt, mit ihm darüber zu sprechen. Als im Herbst 1983 der Amsterdamer Freundeskreis von jenem Brief erfuhr, aus dem, wie es hieß, hervorging, daß Wolfgang Frommel nie beim Meister zu Besuch gewesen sei, habe ich nicht mehr den Mut gefunden, eine eindeutige Antwort von ihm zu verlangen. Frommel stand im 82. Lebensjahr, seine Kräfte hatten zuletzt stark nachgelassen. Warum ihn noch einmal quälen mit einer Frage, die auszusprechen für die meisten Freunde schon Verrat bedeutete, schließlich gehörte Frommels »Dichterbericht«, in dem er seine Begegnung mit Stefan George (...)

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Kehlmann, Daniel

1/2016 | Der Apfel, den es nicht gibt. Unordentliche Gedanken über Bilder und Wirklichkeit

Wer in diesen Tagen eine Ausstellung schöner Dinge eröffnet, muß auch von den häßlichen reden. Wer laut über Schönheit nachdenkt, muß im Verdacht der Gefühllosigkeit stehen, als wollte er sie mit Gewalt nicht sehen, die Fliehenden, die überfüllten Boote, die in Lastwagen Erstickten, die Menschen hinter Stacheldrähten und die Mordbanden, die im Namen der Religion Köpfe abschneiden. Das Schlimmste passiert gerade jetzt, und natürlich ist es nahezu blamabel, so zivilisiert hier zu stehen, als passierte es nicht. Wie also den Übergang finden, wie sich hinüberretten zur Schönheit? (...)

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Keilson, Hans

2/2009 | Gespräch mit Matthias Weichelt

MATTHIAS WEICHELT: Herr Keilson, Sie wurden 1909 in Bad Freienwalde bei Berlin geboren und emigrierten in den dreißiger Jahren nach Holland. Sie haben die längste Zeit Ihres Lebens in Holland gelebt und gearbeitet, halten aber immer noch an der deutschen Sprache fest, schreiben auf deutsch. Das ist etwas Besonderes.
HANS KEILSON: Das ist es bestimmt. Meine Frau würde sagen, es ist schon sehr seltsam. Ich bin holländischer Arzt, holländischer Nervenarzt, Psychoanalytiker. Aber es gibt eine Verbindung, eine Beziehung, für die ich nur das Wort Treue finde.  
WEICHELT: (...)

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Kellen, Konrad

3/2009 | Mein Boß, der Zauberer. Als Sekretär von Thomas Mann in Los Angeles

In Thomas Manns Tagebüchern von 1941-43 komme ich öfter vor, aber immer als Konrad Katzenellenbogen. Das war in der Tat mein ursprünglicher Name. Ich nannte mich in den USA eine Zeitlang »Bogen«, entschied mich aber schlußendlich für die Abkürzung Kellen, nachdem ich im August 1943 in die amerikanische Armee eingezogen und vom Soldaten zum Gefreiten befördert worden war.
Noch unter Kaiser Wilhelm II., am 14. Dezember 1913, wurde ich als Kind christlicher Eltern jüdischer Herkunft in Berlin geboren und in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche getauft und eingesegnet. Ich lebte (...)

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Kempowski, Walter

3/2019 | »Dieser Brief mußte geschrieben werden«. Korrespondenz mit Jörg Drews 2005 – 2007. Mit einer Vorbemerkung von Simone Neteler

Vorbemerkung »Ich glaube, Du bist der einzige Mensch, der das, was ich unternehme, zu würdigen versteht «, schrieb Walter Kempowski am 30. Januar 1998 an den Literaturwissenschaftler und Kritiker Jörg Drews. Der hatte kurz vorher unter der Überschrift »Das Fernsehen, von Walter Kempowski geschreddert« eine Rezension zu dessen »Bloomsday ’97« verfaßt. Das Buch – ein Protokoll der Fernsehrealität, von Kempowski und seinem Team am 16. Juni 1997 auf 37 Sendern zusammengezappt – war von den meisten Rezensenten äußerst kritisch aufgenommen worden. Wie oft in solchen (...)

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Kerr, Alfred

5/2017 | »Es ist eine sehr seltsame Gefühlsmischung, die Sie erwecken«. Briefwechsel mit Arthur Schnitzler 1896-1925. Mit einer Vorbemerkung von Elgin Helmstaedt

Vorbemerkung
Als 1984 der zweite Band der Briefe Arthur Schnitzlers erschien, hieß es im Vorwort: "Obwohl Schnitzler es fast immer ablehnt, eigene Werke zu interpretieren, gibt es dennoch Briefe, die über seine inhaltlichen und ästhetischen Intentionen einigen Aufschluß geben." Unter den fünf Adressaten, die solche Schreiben erhielten, war der Kritiker Alfred Kerr. Dabei lagen den Herausgebern gerade einmal vier Briefe an diesen vor, von denen sie drei veröffentlichten.
Bis 2013 besaß das Alfred-Kerr-Archiv der Akademie der Künste nur Schnitzlers letztes Schreiben an Kerr von 1925. Der Großteil der restlichen Briefe galt jahrzehntelang als verschollen. Als Kerr 1933 mit seiner Familie aus Deutschland fliehen mußte, wurde der größte Teil seines Besitzes konfisziert, darunter auch die Schnitzler-Briefe. In einem Zwischenlager der Gestapo nahm eine literaturinteressierte, vielleicht auch Schnitzler verehrende Sekretärin die Briefe an sich. Nach dem Krieg wagte sie nicht, mit ihrem "Fund" an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie vererbte die wertvollen Autographen ihrem Neffen, der sie 2013 einem Auktionshaus anbot. Nach Absprache mit der Familie Kerrs, den rechtmäßigen Eigentümern der Briefe, konnte die Akademie ein Vorkaufsangebot aushandeln und die Manuskripte erwerben. (...) Elgin Helmstaedt

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Kerski, Basil

1/1999 | Gespräch mit Sebastian Kleinschmidt

(...) Vor fünfzig Jahren hätten viele einer Programmformel mit Namen Sinn und Form kulturell zugestimmt. Heute sähe das schon anders aus, es gibt wieder starke Zweifel an so etwas wie Sinn schlechthin. Der Nihilismus ist neuerlich im Vormarsch - unvermeidliche Folge jeder säkularisierten und damit transzendenzlosen Kultur. Manche Leute halten es schon für hochgradigen Idealismus oder schlicht für Realitätsverkennung, überhaupt auf philosophischen Postulaten wie Sinn zu beharren. Das Resultat: Es gibt heutzutage weit weniger Einvernehmen über Dinge, die vermutlich sinnvoll, als über solche, die im Grunde sinnlos sind. Es herrscht Konsens in negativen Überzeugungen, nicht in positiven. (...)

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4/2013 | Der Essay als Raum freien Denkens. Gespräch mit Adam Zagajewski und Sebastian Kleinschmidt

BASIL KERSKI: Gedicht und Essay sind in der polnischen Literatur diejenigen Gattungen, die am deutlichsten mit eigener Stimme sprechen. Hier fanden die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ihren besonderen polnischen und zugleich universellen Ausdruck. Ein Meister beider Gattungen ist Adam Zagajewski. Sebastian Kleinschmidt fördert sie in der von ihm geleiteten Zeitschrift Sinn und Form in eindrucksvoller Weise. Gedichte und Essays aus Polen waren in den letzten beiden Jahrzehnten – vor allem dank der Übersetzungen Henryk Bereskas und Bernhard Hartmanns – in der Berliner (...)

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Kessel, Martin

6/2019 | »Versuchen wir, am Leben zu bleiben«. Briefe aus Berlin 1933– 44. Mit einer Vorbemerkung von Till Greite

Man könne inmitten Berlins »als städtischer Robinson« wie in einer Wildnis leben: Als  Martin Kessel diese aphoristische Bemerkung 1948 veröffentlichte, fand er damit das  existentielle Bild für eine Daseinsform im Schutt, für das Leben in der untergegangenen  Reichshauptstadt. Ein Schiffbruch zu Lande, eine beginnende, ein halbes Jahrhundert  dauernde Insellage und die Fraglichkeit eines Überlebens im »unfreiwilligen Exil«, wie  der Kritiker Friedrich Luft die Nachkriegszeit nannte – all das umfaßt die Robinsonade  inmitten Berlins. Kessel prägt diese Denkfigur noch im (...)

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Keun, Irmgard

1/2020 | »Ich sehne mich zwar nach Ruhe, aber ich ertrage sie nicht«. Zwei unbekannte Briefe an eine Freundin. Mit einer Vorbemerkung von Matthias Meitzel

Vorbemerkung »Ist Münzenberg tot? Was ist mit Irmgard Keun?« Als sich Nelly und Heinrich Mann am 11. Januar 1941 besorgt bei Hermann Kesten nach dem Schicksal der beiden Freunde erkundigen, ist Willy Münzenberg nicht mehr am Leben, aber auch die zweite Frage beruhte auf mehr als einer angstvollen Vermutung. Bereits am 16. August 1940 hatte der »Daily Telegraph« berichtet: »Fraulein Irmgard Keun, the novelist, is stated to have taken her life at Amsterdam.« Ein knappes Jahrzehnt zuvor war die junge, 1905 in Charlottenburg geborene Autorin mit den Romanen »Gilgi – eine von uns« (...)

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Kienlechner, Sabina

6/2010 | »Unter dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie.« »Die Aktionsgruppe Banat« in den Akten der Securitate

Die Verleihung des Nobelpreises 2009 an Herta Müller hat die Öffentlichkeit auf eine Gegend aufmerksam gemacht, von der bisher nur wenige etwas wußten: das rumänische Banat. Im Grenzgebiet zwischen Rumänien, Ungarn und Serbien gelegen, war dieser Raum seit dem 18. Jahrhundert von Deutschen besiedelt, hier war einst eine blühende bäuerliche Landschaft mit über einer viertel Million deutschsprachigen Einwohnern. Im zweiten Weltkrieg wurde diese Bevölkerung durch Deportation und Vertreibung stark reduziert, doch um 1950 herum lebten dort immer noch etwa 170000 Deutsche, es gab deutsche (...)

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3/2014 | Der arme Spitzel. Die rumäniendeutschen Schriftsteller und das juristische Debakel der Securitate-Aufarbeitung

Moral, Recht und Wahrheit Auf die bekannte, sozusagen seit Menschengedenken gestellte Frage, wie Recht und Moral sich zueinander verhalten, erhält man heute meist verschwommene und ausweichende Antworten. Es heißt, Recht und Moral seien zwar nicht dasselbe, aber gewissermaßen ineinander »verschränkt«; sie würden sich »mehr oder minder stark überschneiden« oder gingen auseinander hervor bzw. bauten aufeinander auf. Daneben gibt es allerdings eine gewichtige (von Max Weber angeführte) Fraktion von Gelehrten, die die Auffassung vertritt, Recht und Moral seien (...)

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3/2018 | Ingeborg, ein letztes Mal

I Drei- oder sogar viermal in ihrem Leben kam Ingeborg Bachmann nach Rom, um hier eine Weile zu leben. Wir waren immer schon da: in den fünfziger Jahren, als sie Rom zu ihrer »Wahlheimat« machte (in Wahrheit aber kam und ging wie ein Zugvogel), dann 1960, als sie und Max Frisch sich hier als Paar niederließen (für etwa zwei Jahre), und schließlich von 1965 bis zu ihrem Tod 1973, als sie nicht mehr nur sporadisch, sondern »fest«, wie wir, als Ausländerin und Exterritoriale in Rom lebte. In allen Perioden ihres römischen Lebens kam sie uns besuchen. Wir wohnten in einer etwas (...)

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3/2020 | Deutschland Abendland

Tübingen, um 1825 Es heißt, er sei sehr gerne spazierengegangen, er war ein großer, kräftiger Mann und litt unter dem chronischen Mangel an Bewegung. Manchmal erbarmte sich jemand seiner und führte ihn hinaus aufs Feld vor die Tore der Stadt. Dort pflückte er Blumen, ganze Sträuße, zerriß sie sodann in kleine Stücke und steckte sie in die Hosentasche. Wenn man ihm griechische Verse vorlas, lachte er und sagte: »Das versteh ich nicht! Das ist Kalamattasprache.« Wenn man ihn fragte, wie er heiße, sagte er: »Killalusimeno. Oui, Eure Majestät.« Andere Male sagte er: (...)

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2/2021 | Die Mutter, das dritte Geschlecht

(...)
Die Menschen um sie herum, Arzt, Hebamme, Hebammenschülerin, Kindsvater und wer sonst noch dem Ereignis assistiert, erscheinen ihr ungewohnt plastisch, charaktervoller denn je, wie Titanen in ein Tun involviert, dessen taghelle Oberflächlichkeit ihr noch niemals aufgegangen war. Ihr eigener dunkler Blick ruht auf ihren geschäftigen Gesichtern: Wie aus tiefstem Meeresgrund blickt sie hinaus in das, was man Wirklichkeit nennt. Sie ist überzeugt, daß nie ein Strahl des menschlichen Geistes in diese physiologischen Tiefen vordrang oder jemals vordringen wird: aus denen aber doch (...)

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Killert, Gabriele Helen

1/2019 | Die Kunst, das Unendliche hereinzubitten. Zur Poetik des literarischen Surrealismus

Die surrealistische Revolution Mitte der zwanziger Jahre in Paris war vielleicht nicht die wichtigste, wohl aber eine der schönsten und unblutigsten aller historischen Revolten. Was ist passiert? Ein paar Priester wurden beschimpft, der Papst ein Hund genannt. Und ein paar Ausstellungsräume und Kinos gingen zu Bruch. Nicht eben viel, wenn man bedenkt, welche Zukunft das »Büro für surrealistische Forschung« über die Menschheit verhängt hatte: Enteignung des Bewußtseins, der Logik, des perfiden Wachzustandes. Und: schöpferischer Schlaf, Mystik, Magie, Hysterie und automatisches Schrei (...)

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3/2022 | Hypochondrie und Ironie. Uneigentliches Leiden und uneigentliches Sprechen im Werk von Adolf Muschg

Adolf Muschg ist seit Jahrzehnten schon ein Klassiker der Gegenwartsliteratur. Und wie es so manchem Klassiker ergeht: Er gilt viel und wird wenig gelesen. Muschg ist gleichsam der Schweiz-Korrespondent der Literatur, der uns über dieses eigenwillige Nachbarland auf dem laufenden hält. Seine Stimme hat als die eines reflektierten Intellektuellen Gewicht, sei es in entschiedener Opposition zu den Vereinfachern bei gewissen Zeitgeist-Themen (zuletzt etwa der sogenannten Cancel culture) oder als engagierter Streiter für ein aufgeklärtes, Konflikte tolerierendes »gastliches Europa«.
(...)

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Kirsch, Sarah

6/2013 | Im Spiegel. Poetische Konfession. Mit einer Vorbemerkung von Isabelle Lehn, Sascha Macht und Katja Stopka

(...) 1965, an der Schwelle »zwischen nicht mehr und noch nicht«, entstand kurz vor Beginn ihres Lebens als freie Schriftstellerin ein kleiner, noch unveröffentlichter Text, ihre Abschlußarbeit am Leipziger Institut für Literatur Johannes R. Becher. Im vorgegebenen Rahmen einer »poetischen Konfession« stellt sich Kirsch den Ausgangsfragen ihrer Literatur. Der Text gibt Einblicke in die Werkstattüberlegungen einer jungen Dichterin, über deren Lyrik Heinz Czechowski – ebenfalls Absolvent des Instituts – im Rückblick sagte: »Sie war damals schon selbständig, naiv vielleicht, aber echt.« (...)

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Klaue, Magnus

3/2020 | Dazwischentretend. Sexus und Reim bei Karl Kraus und Else Lasker-Schüler

Poetik des Fremdgehens »Frau« und »Mann« sind im Werk von Else Lasker-Schüler Schimpfworte. In »Mein Herz«, dem 1912 veröffentlichten »Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen«, wird die Geste, mit der sich Frauen und Männer zu »Frauen« und »Männern« machen, zur Erniedrigung, durch die die Menschen sich selbst und einander um die ihnen innewohnende Souveränität, in der Metaphorik Lasker-Schülers: um ihre Königlichkeit betrügen. Lasker-Schülers Werk reagiert auf diesen wechselseitigen Betrug weder mit einer Mythenkritik, die jedes Bild auf sein Klischee, (...)

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Kleinschmidt, Sebastian

1/1999 | Gespräch mit Basil Kerski

Basil Kerski: Das Begriffspaar »Sinn und Form« annonciert keineswegs kulturelle Unentschiedenheit oder ästhetische Wertneutralität. Welche programmatischen Vorstellungen liegen dem Titel Ihrer Zeitschrift zugrunde?

Sebastian Kleinschmidt: Titel sind Namen, und Namen sind nichts Zufälliges. Recht besehen sind sie schöpferische Formeln eigenen Wollens, des bewußten wie des unbewußten. Sie zeigen die Drehachse der Intention. Vor fünfzig Jahren hätten viele einer Programmformel mit Namen Sinn und Form kulturell zugestimmt. Heute sähe das schon anders aus, es gibt wieder (...)

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2/2010 | Sechzig Jahre Sinn und Form

Was das Erreichen des sechzigsten Jahres im Leben eines Menschen bedeutet, kann man in etwa sagen. Auch ich könnte es, bin ich doch aller Voraussicht nach der letzte Leiter von Sinn und Form, der älter als die Zeitschrift ist. Aber nehmen wir Brecht, den Schutzherrn ihres ersten Dezenniums. Er wurde zwar nicht sechzig, aber er hatte Ideen dafür. In dem letzten Gespräch, das Caspar Neher mit ihm führte und von dem er im zweiten Brecht-Sonderheft 1957 berichtet, sprach Brecht von seinen Plänen für das Alter: »Wenn wir sechzig sind, haben wir allerhand hinter uns, da wollen wir manches (...)

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2/2011 | Souveränität ist, nichts für Zufall zu halten. Gespräch mit Dieter Janz

SEBASTIAN KLEINSCHMIDT: Sie sind Arzt, Neurologe, Ihre Spezialität ist die Epileptologie. Generell aber verstehen Sie sich als Gewährsmann der anthropologischen Medizin. Was haben wir uns darunter vorzustellen? DIETER JANZ: Es ist nicht ganz einfach zu sagen, was medizinische Anthropologie bzw. anthropologische Medizin ist, aber versuchen wir es. Die drei Stücke, die Viktor von Weizsäcker 1927 für die »Kreatur« verfaßt hat, nämlich »Der Arzt und der Kranke«, »Die Schmerzen« und »Krankengeschichte«, nannte er Stücke einer medizinischen Anthropologie. Und dort sagt er, (...)

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4/2013 | Logbuch. Letzter Eintrag

Wenn man das Glück hatte, fast dreiundzwanzig Jahre an der Spitze einer Zeitschrift wie »Sinn und Form« zu stehen, auf der Brücke dieses stolzen Schiffes, um im Auftrag eines ehrwürdigen Reeders, der Berliner Akademie der Künste, dafür zu wirken, daß nicht Stürme und nicht Flauten, nicht Untiefen und nicht Klippen dem schönen Segler die Fahrt nehmen, dann geht einem in dem Moment, wo man abmustert, weil es Zeit geworden ist, daß Jüngere das Ruder übernehmen, so manches durch den Kopf. Der Wechsel der Epochen, das Schiff und seine Kapitäne, ihr nautisches Geschick, die (...)

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4/2013 | Der Essay als Raum freien Denkens. Gespräch mit Basil Kerski und Adam Zagajewski

BASIL KERSKI: Gedicht und Essay sind in der polnischen Literatur diejenigen Gattungen, die am deutlichsten mit eigener Stimme sprechen. Hier fanden die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ihren besonderen polnischen und zugleich universellen Ausdruck. Ein Meister beider Gattungen ist Adam Zagajewski. Sebastian Kleinschmidt fördert sie in der von ihm geleiteten Zeitschrift Sinn und Form in eindrucksvoller Weise. Gedichte und Essays aus Polen waren in den letzten beiden Jahrzehnten – vor allem dank der Übersetzungen Henryk Bereskas und Bernhard Hartmanns – in der Berliner (...)

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2/2014 | Der Pfeil des Lebens und der Pfeil der Werke. Laudatio zum Günter-Eich-Preis auf Jürgen Becker

Der polnische Dichter Adam Zagajewski hat vor vielen Jahren ein langes, wehmütiges Gedicht mit dem Titel »Elektrische Elegie« geschrieben. Es beginnt so:
___Leb wohl, deutsches Radio mit dem grünen Auge,
___du schwere Kiste, zusammengesetzt – fast –
___aus Körper und Seele (deine Lampen glühten
___lachsfarben, rosig, wie das tiefe Ich
___bei Bergson).
______Durch den dicken Stoffbezug über dem
___Lautsprecher (mein Ohr preßte sich an dich wie ans
___Gitter des Beichtstuhls) hatte einst Mussolini
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1/2022 | Menschenferne und Gottesnähe. Spiritualität in apokalyptischer Zeit

[…]
Aber ist die Corona-Krise vielleicht nur ein Vorspiel, das Menetekel für etwas, das noch kommt und das weit schlimmer ausfällt? Ich spreche von der heraufziehenden Klimakrise, vom drohenden Versiegen des Golfstroms, von starken Stürmen, langen Dürren, großen Überflutungen, vom Auftauen der Permafrostböden, vom Schmelzen des polaren Eises und dem alptraumhaften Ansteigen des Meeresspiegels. Hier gewinnen die Voraussagen – nicht von Sehern, sondern aus der Forschung (der Schriftsteller Ulrich Horstmann nennt sie »das verhängnisorientierte wissenschaftliche (...)

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Knauf, Erich

4/2014 | Der unbekannte Zille. Mit einer Nachbemerkung von Wolfang Eckert

In der ersten Schwarz-Weiß-Ausstellung der Berliner Sezession 1901 war Zille mit einigen seiner besten Arbeiten vertreten. Er war damals noch im graphischen Gewerbe beschäftigt, Kunst war für ihn kein Broterwerb. Das Honorar, das der »Simplicissimus« und die »Jugend« – die ersten Zeitschriften, die ihn erkannten und schätzten – zahlten, wurde von Zille gern mitgenommen, denn seine »außerdienstliche« Tätigkeit hatte sich bis dahin im Haushaltsplan der Familie nur als Ausgabenposten bemerkbar gemacht. Die Ausstellung wurde sehr beachtet. Viele, die sonst kaum in eine (...)

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Knott, Marie Luise

6/2022 | Über Befangenheiten

In den letzten Jahren stand viel bislang kaum Hinterfragtes auf dem Prüfstand. Auch Hannah Arendt ist in die Kritik geraten. Einige Stimmen kritisierten ihre Ausführungen zum Kolonialismus in »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft«. Schließlich waren die Indigenen auch in Afrika keineswegs geschichtslos. Andere Stimmen fragten, wie es sein könne, daß die jüdische Denkerin, die Diskriminierung und Verfolgung am eigenen Leibe erfahren hatte, 1959 in ihrem Essay »Reflections on Little Rock« die gesetzlich erzwungene Integration von schwarzen Schülern mit dem Argument ablehnte, (...)

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Kobán, Ilse

5/2008 | Warten darauf, daß es wieder Leben wird

»So berühmt sind wir ja nicht, daß unsere Briefe einmal veröffentlicht werden u.wer sie sonst etwa findet, der soll ruhig daraus ersehen können, daß wir uns ganz u. vorbehaltlos mit Körper und Seele liebten, davon nichts dominierte, aber auch nichts in einer verlogenen und verbogenen Bürgermoral zurückgesetzt wurde«, schreibt Carl Ebert 1935 an seine Frau Gertie. Und ebendies wird der Leser aus den hier abgedruckten Briefen ersehen, und er wird Einblick erhalten in die Lebensumstände und existentiellen Nöte eines emigrierten deutschen Künstlers und seiner Familie nach (...)

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Kohlhaase, Wolfgang

1/2023 | »Die Geheimnisse der Prosa sind von stillerer Art.« Gespräch mit Elisa Primavera-Lévy und Matthias Weichelt

MATTHIAS WEICHELT: Herr Kohlhaase, Sie haben eine Wohnung in Ihrer Geburtsstadt Berlin, wohnen mit Ihrer Frau Emöke Pöstenyi aber seit den sechziger Jahren auch in diesem Haus in Neu Reichenwalde, fernab der Literatur und Filmkreise. Damals waren Sie als Drehbuchautor in der DDR schon sehr bekannt. Wie hat man Sie hier auf dem Land als Zugezogenen, als Städter aufgenommen? WOLFGANG KOHLHAASE: Ziemlich am Anfang war ich noch viel in Berlin, einmal bin ich mit dem Rad hier rausgekommen und habe das dann stehenlassen. Ich wollte ausprobieren, wie lange es steht. Eine Art Check auf die (...)

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Köpp, Ulrike

1/2018 | Neues Leben und Gemeinschaft. Zum Reformstreben in der Moderne

Die Stalinallee, jene für ihre Architektur bewunderte wie verhöhnte Prachtstraße in der östlichen Mitte Berlins, ist eine Chiffre für den hoffnungsvollen Kurs zum Aufbau des Sozialismus wie auch für die existentielle Krise der Deutschen Demokratischen Republik im Juni 1953. Der sozialistische Boulevard sollte Arbeitern und ihren Familien großzügige, lichte Wohnungen bieten, mit Ladenzeilen die industrielle Leistungsfähigkeit des Landes demonstrieren und den Bewohnern mit einer Vielfalt gediegener Konsumgüter ein gutes Leben verheißen. In der Vorstellung der Planer gehörten dazu neben Geschäften für Jenaer Glas, für Schuhe und Bekleidung auch eine großzügige Buchhandlung und zwei Reformhäuser. Deren Einrichtung war im Rat des Stadtbezirkes unumstritten. Ganz anders die Frage, ob man auch dem Verkauf von Antiquitäten und Pelzwaren stattgeben solle, galten diese doch als Luxusgüter und standen für eine Gesellschaft der sozialen Ungleichheit, welche die DDR als Gesellschaft der Gleichen überwinden wollte. (...)

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4/2020 | Nacktbaden. Technik des Glücks. Zur Freikörperkultur in der DDR

Wie angewurzelt stand ich in der Alten Nationalgalerie vor dem Gemälde, ich hatte die gelöste Szenerie der Nacktbadenden am Ostseestrand wiedererkannt, die mir aus DDR-Zeiten so vertraut war. Dabei befand ich mich doch in dem Raum mit der Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts, und die »Tritonen und Najaden«, die sich da am Meeressaum ergingen, waren von Max Klinger. Ein Mann und eine Frau liefen ins Meer, zwei Liebende, den Rücken zum Betrachter gekehrt, vor ihnen ließ sich eine Frau ins Wasser fallen. Alle Bewegung auf diesem Bild rührte von dieser Menschengruppe in seiner Mitte her. (...)

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5/2022 | Der volkseigene Gartenzwerg. Über den Kampf gegen Kitsch in der frühen DDR

Im Sommer 1947 warb ein Plakat für den Besuch einer Ausstellung im Weimarer Schloß: »Gegen die Ausbeutung des Volkes durch Kitsch«. Den Initiatoren ging es offenbar ums Ganze. Den Schwung für ihr Unterfangen bezogen sie aus dem radikalen gesellschaftlichen Umbruch nach dem Untergang des Nazi-Reiches. So hatten die neuen politischen Machthaber mit der Bodenreform gerade für die Umsetzung eines alten lebensreformerisches Ziels gesorgt. Warum sollte da nicht auch die Stunde für die Kunsterziehungsreformer gekommen sein?
Die Malerin Lea Grundig erinnert sich an eine Begebenheit aus (...)

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Krauß, Angela

6/2011 | Das im Leben verborgene Gedicht

Im Frühling 2005 war es, als mich Paul Michael Lützeler im Rahmen des Max-Kade-Programms an die Washington University nach St. Louis einlud, mit seinen Studenten zu arbeiten.
Im Jahr vorher hatte ich die Frankfurter Poetikvorlesungen gehalten, in St. Louis ging es um Seminare, also um Austausch, zudem auf der anderen Seite der Welt, das war etwas anderes. So wollte ich es auch machen: anders.
Ich stellte mir meine Seminare vor wie ein ins Leben eingespieltes Prosastück.
Es wurde ein Drama.
Es hatten sich acht Studenten eingeschrieben, vier Amerikaner, vier Deutsche. Im (...)

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Krechel, Ursula

6/2020 | Aufzeichnungen aus der Dunkelheit. Vom Träumen in Diktaturen

Wir träumen oder wir träumen nicht. Und nehmen an, daß Erinnerungen und Tagesreste eine Folie bilden, auf der Träume aufscheinen. Und gleichzeitig wundern wir uns nicht, daß Menschen, die einer persönlichen und objektiven Katastrophe entronnen sind, schlecht träumen oder aus Alpträumen aufschrecken. Wie wurde in Sarajevo, im Kosovo, in Bagdad geträumt, wie wird in Aleppo, in Damaskus, in Idlib, wie in Pjöngjang, wie in den fortgeschrittenen Überwachungsstaaten geträumt? Ein Traumforscher müßte sich auf den Weg machen und die Träume der Traumatisierten, der aufgeschreckten (...)

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Krieger, Hans

2/2016 | Die Wiederkehr des Reims. Form als Sinn – zu einem Gedicht von John Donne

Zu den erstaunlichsten Entwicklungen der neueren Lyrik gehört die geräuschlose Rehabilitierung des Reims. Lange war er verpönt gewesen als Relikt einer entleerten Tradition, als Konventionskrücke der Epigonen, gar als trügerische Schönrednerei, die das Disparate der modernen Welt mit glättender Harmonie überschminkt. Nur für die Humoristen unter den Versemachern war er, seiner Liaison mit der Pointe wegen, ein probates Mittel geblieben. Nun aber, noch etwas schüchtern und manchmal mit Anzeichen von Muskelschwäche nach zu langem Stilliegen, betritt der Reim erneut die Bühne. Und (...)

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5/2016 | Angriff auf die Sprachkultur. Zwanzig Jahre Rechtschreibreform

Vor zwanzig Jahren gelang sie am Ende doch: die jahrzehntelang geprobte und immer wieder gescheiterte Umkrempelung der deutschen Orthographie. Mit der »Wiener Absichtserklärung« von 1996 verpflichteten sich die deutschsprachigen Länder sowie Staaten mit relevanten deutschsprachigen Minderheiten zur Einführung einer reformierten Rechtschreibung; noch im gleichen Jahr wurde mit ihrer Einübung in den deutschen Schulen begonnen. Heftige Proteste, vor allem namhafter Schriftsteller, blieben wirkungslos. Vor zehn Jahren dann, 2006, sorgte der von den Kultusministern installierte »Rat für (...)

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Kunert, Günter

6/2019 | Aus dem Big Book

3.6.17 Heute nacht habe ich den Brief einer Frau bekommen, wußte aber nicht, wer mir das geschrieben hatte. Auch war der Brief gedruckt, eine endlose Epistel, wie alle Texte, die ich erträume, dazu wie immer die vorlesende Stimme. Ein sehnsuchtsvolles Schreiben, Aufforderung, sie zu besuchen, und ob ich mich denn nicht mehr an sie erinnere? Waren die Sätze anfänglich noch zurückhaltend, platonisch, romantisch, so wurden sie mit jedem Wort leiblicher, ja, sexueller, bis zu vulgären Einladungen, ein Panorama körperlicher Angebote präsentierend. Und ebenfalls wie immer schwand langsam (...)

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Kurzeck, Peter

5/2011 | »Wenn ich schreibe, kann mir nichts passieren.« Gespräch mit Ralph Schock

RALPH SCHOCK: Dein Roman »Oktober und wer wir selbst sind« ist Teil eines großen Erinnerungsprojekts, an dem du seit Jahrzehnten schreibst. Kannst du die Position des Romans in diesem Werk beschreiben? PETER KURZECK: Es ist der vierte Band und eine Rückblende innerhalb des Erzählten. Die autobiographische Reihe beginnt 1984, und dann erzähle ich rückwärts den vorangegangenen Herbst und Winter. Hier geht es um den Oktober 1983, ein Herbstbuch also. SCHOCK: Warum hast du diese Zeit, diese zwölf Monate des Jahres 1983/84, zum Zentrum des Mammutprojekts gemacht? KURZECK: Weil ich (...)

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Nimtz-Köster, Renate

2/2024 | Tauben auf dem Arm, Tarnfleck auf den Straßen. Czernowitz im zweiten Kriegsjahr

Schon wieder Czernowitz? Ist nicht alles über diese Stadt in der ukrainischen Bukowina gesagt worden? Auf halbem Weg zwischen Kiew und Bukarest, Krakau und Odessa gelegen, galt sie einst als »heimliche Hauptstadt Europas«, schwärmte noch in den neunziger Jahren der Journalist Georg Heinzen. Mit Rosensträußen, wie er poetisierte, seien die Bürgersteige gefegt worden. Und es habe mehr Buchhandlungen als Bäckereien gegeben.
Dieses Verhältnis hat sich längst umgekehrt, es gibt zahllose Konditoreien feinster Güte, überschaubar ist hingegen die Zahl der Buchhandlungen. In deren (...)

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