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[€ 11.00]  ISBN 978-3-943297-33-1

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Leseprobe aus Heft 1/2017

Ehrsam, Thomas

„Aber mich selbst anzulügen gelingt mir nicht“. Mopsa Sternheim, Versuch eines Porträts


Gescheitert – so hat sich Mopsa Sternheim, ihr Leben bilanzierend, immer wieder gesehen. Gescheitert vor allem deshalb, weil es ihr, die lebenslang in deutschen und französischen Künstlerkreisen verkehrte, nicht gelang, ein Werk zu schaffen, ihren Roman zu vollenden. Trotz dieser Selbsteinschätzung lohnt sich ein Blick auf diese Frau und ihr Leben. Dabei soll es weniger um ihre zahlreichen Affären und Bekanntschaften als um ihr intellektuelles Profil gehen, ihren Mut (und Hochmut), mit dem sie auch in verzweifelten Lagen immer an einem trotzigen Dennoch festgehalten hat.

Mopsa Sternheim war die uneheliche Tochter des Dramatikers Carl Sternheim und seiner Geliebten Thea Löwenstein. Sie wurde am 10. Januar 1905 als Elisabeth Dorothea Löwenstein geboren: Der Mann der Mutter, Arthur Löwenstein, erkannte das Kind als sein eigenes an. In der Familie wird es Moiby, später Mopsa genannt, und Mopsa hieß auch die erwachsene Frau für alle ihre Freunde. Nach der Scheidung 1907 und der Heirat der Mutter mit Sternheim muß das Kind mit seiner älteren Schwester Agnes bei Löwenstein bleiben und darf erst 1912 zu seinen Eltern. Sie erlebt den Ersten Weltkrieg in Belgien und wird von ihrer Mutter und Hauslehrern, darunter dem belgischen Dadaisten Clemens Pensaers, unterrichtet. Nach dem Krieg zieht die Familie in die Schweiz nach Uttwil am Bodensee und im Sommer 1922 aufgrund der Inflation nach Dresden. Schon als Kind liest Mopsa Kleist, Dostojewski, Tolstoj und Schiller; Pensaers sagte von der Zwölfjährigen: »Sie hat den Verstand einer Fünfzigjährigen. Was denkt sie? Keiner weiß es. Wen liebt sie außer der Mutter?« (Tagebuch Thea Sternheim, 21. April 1917) Diese Liebe zur Mutter begleitete sie lebenslang und ging weit über das übliche Maß hinaus: Später hat sie bedauert, kein Mann zu sein, da Thea so auf Männer fixiert gewesen sei, und gelegentlich sogar Briefe an die Mutter mit »Dein Gatte MIP« unterzeichnet. Das hat die Beziehung zwischen beiden natürlich nicht vereinfacht.

In Dresden besucht Mopsa 1923 die Kunstschule und geht ein Jahr später nach Köln, um sich bei dem Bühnenbildner Carl Pillartz ausbilden zu lassen. Unter Gustav Hartung und an weiteren Theatern gestaltet sie mit Erfolg Bühnenbilder und Kostüme für einige Sternheim-Aufführungen. Aber Sternheims große Zeit ist bald vorbei, und für andere Inszenierungen wird Mopsa nicht engagiert. Das mag an der Zeit gelegen haben, die von einer Sternheim-Tochter nichts mehr wissen will, wahrscheinlich hat es ihr aber auch an Durchsetzungskraft gefehlt.

1925 hat sie eine kurze, intensive Affäre mit Gottfried Benn (einem Freund ihrer Mutter), die mit einem Selbstmordversuch endet und Mopsa bleibend prägt. Noch Jahrzehnte später nennt sie jedesmal Benn, wenn sie sich in ihrem Tagebuch fragt, wer ihr in ihrem Leben etwas gegeben habe. Außerdem noch Sternheim, den surrealistischen Dichter René Crevel und den Verleger Walter Landauer – Frauen werden dabei nicht erwähnt, obwohl sie immer wieder kürzere oder längere lesbische Affären hat, etwa mit Annemarie Schwarzenbach. Der letzte Brief an ihre Mutter endet mit dem Nachsatz: »Sage Gottfried dem Grossen einmal, wie sehr ich, dreissig Jahre lang – etc – – ja sag es ihm doch einmal. Immerhin hat er EINE grosse, von allen äusseren Belangen unabhängige Passion hervorgerufen. Weiss er das wohl – vielleicht ist’s ihm egal?«

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre gehört sie mit Pamela Wedekind (der späteren Frau Carl Sternheims!), Erika und Klaus Mann (mit dem sie bis zu seinem frühen Tod befreundet bleibt) zu den ›Dichterkindern‹ und zur Jeunesse dorée Berlins, nimmt Drogen und frequentiert schwul-lesbische Lokale. Für Mopsa ist der Drogenkonsum mehr als Episode und Experiment: Seit einem Motorradunfall 1927, nach dem man sie mit dem Morphium-Präparat Eukodal behandelt hat, ist sie süchtig und bleibt es (wie ihr jüngerer Bruder Klaus) mit Unterbrechungen lebenslang. Daran scheitert auch die geplante Ménage à trois mit dem homosexuellen französischen Schriftsteller René Crevel und dem Wiener Abenteurer und Graphiker Carl Rudolf von Ripper: Aufgrund der Drogensucht Mopsas und Rippers zieht sich Crevel zurück. In der Folge heiratet Mopsa Ripper (mit Benn als Trauzeuge) – der Beginn eines jahrelangen Absturzes in Drogen, Entziehungskuren, dadurch bedingte Krankheiten und Geldnöte, was 1936 schließlich zu einem erneuten Selbstmordversuch führt. Angewidert von den Intrigen und Lügen des Paares bricht Thea Sternheim zeitweise den Kontakt zur Tochter ab. Auf ihre Vorhaltungen antwortet Mopsa am 27. Juli 1936: »Gewiss hast Du in vielen Dingen recht (…). Ich weiß es besser als irgendwer. Ich lüge viel, ich lüge gut, aber mich selbst anzulügen gelingt mir nicht.« Das Tagebuch, von dem noch die Rede sein wird, legt davon das beste Zeugnis ab.

Seit 1933 lebt Mopsa, meist getrennt von ihrem Mann, in Paris. Bald ist sie in deutschen Emigrantenkreisen wie in französischen Künstlercliquen zuhause. Hier wohnt auch ihre Mutter, die Berlin bereits 1932 aus Abscheu vor dem Nationalsozialismus verlassen hat. Mopsa, der es trotz ihrer Drogensucht nie an Mut fehlt, kämpft gegen den Faschismus, schreibt für den »Manchester Guardian « antifaschistische Artikel und arbeitet mit dem kommunistischen Verleger Willi Münzenberg am »Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror« (1933). Ripper verteilt 1934 die Braunbücher in Berlin, wird geschnappt und kommt für einige Monate ins berüchtigte Columbia-Haus und ins KZ Oranienburg. Mopsa setzt sofort alle Hebel zu seiner Befreiung in Bewegung; schließlich wird er auf Vermittlung der österreichischen oder französischen Gesandtschaft (die Quellen sind nicht eindeutig) entlassen. 1938 publiziert er eine beeindruckende Folge großformatiger antifaschistischer Kaltnadelradierungen unter dem Voltaire-Titel »Écrasez l’Infâme« (Zermalmt das Niederträchtige). Das amerikanische »Time Magazine« veröffentlicht im Januar 1939 ein Blatt daraus, das Hitler an der Totenorgel zeigt, unter dem Titel »Man of 1938. From the unholy organist a hymn of hate« als Cover. Das führt 1941 zu Rippers und Mopsas Ausbürgerung. Sie ist nun staatenlos, was ihre ohnehin schwierige Situation als Exilantin und Tochter des Halbjuden Sternheim zusätzlich erschwert. Sie bekommt keine Identitätskarte mehr, sondern nur ein papier d’éloignement, also eine Ausweisungsbescheinigung, die alle zwei Wochen, später alle zwei Monate verlängert werden muß. Um nicht aufzufallen, wohnt sie seit Kriegsausbruch im kleinen Studio ihrer Mutter.

Mit der Absicht, ihrem jüdischen Freund Michel Zimmermann die Flucht nach England zu ermöglichen, nimmt sie Anfang 1942 Kontakt zur Résistance auf und arbeitet für diese, ohne Wissen der Mutter, unter Sidney Jones als Sous-Lieutenant mit der Funktion eines Verbindungsoffiziers im Agentennetz (Réseau) Inventor, das zu den Réseaux Buckmaster des britischen Geheimdienstes SOE in Frankreich gehört. Am 2. Dezember 1943 wird sie im Haus einer Freundin von der Gestapo verhaftet und an der Avenue Henri Martin gefoltert, auch Zähne werden ihr ausgeschlagen. Sie bleibt standhaft und verrät nichts. Anschließend kommt sie ins Gefängnis Fresnes und im Januar 1944 ins Lager Compiègne, das Abschiebelager nach Deutschland. Am 31. Januar wird sie mit 958 Französinnen ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert. Weil sie deutsch spricht, wird sie Blockowa (Blockälteste) in Block 8 im Krankenrevier und ist für Ordnung und Sauberkeit sowie die Essensverteilung zuständig. In ihrem Block finden sich zwei- bis vierhundert Kranke, die an Typhus, Scharlach oder Ruhr leiden. Sie stellt sich, ihr eigenes Leben aufs Spiel setzend, ganz in den Dienst der Häftlinge und rettet mehrere von ihnen, indem sie sie als verstorben von der Deportationsliste streicht und im Krankenblock im oberen Teil der Stockbetten versteckt. Der Einsatz für ihre Schützlinge (den mehrere Affidavits von Mithäftlingen nach dem Krieg bezeugen) und ihr arrogantes Auftreten gegenüber der SS führen dazu, daß sie zur Stubenältesten degradiert und in Block 5 des Industrieblocks versetzt wird, wo Häftlinge Uniformen schneidern und flicken müssen.

In letzter Minute, am 23. April 1945, wird sie als eine von etwa siebentausend Frauen vom schwedischen Roten Kreuz im Rahmen der Aktion Bernadotte aus dem völlig überfüllten und immer chaotischeren Lager, in dem das Morden weitergeht, gerettet und nach Schweden gebracht. Hier wird sie aufgepäppelt und schließlich nach Paris geflogen, wo sie am 26. Juni 1945 eintrifft. In den ihr verbleibenden neun Lebensjahren versucht sie, zunehmend von Krankheiten geplagt, im Alltag wieder Fuß zu fassen. Sie betreibt Wiedergutmachungsprozesse für sich und ihre Mutter und kämpft um das Erbe ihres 1942 verstorbenen Vaters. Die Früchte dieser Bemühungen kann sie nicht mehr ernten, wohl aber die geliebte, im Krieg völlig verarmte Mutter. Im Frühsommer 1948 fährt Mopsa nach Hamburg, um im 4. Ravensbrück-Prozeß als Zeugin gegen den Lagerarzt Benno Orendi und die Schwester Martha Haake auszusagen.

An einer unglücklichen Liebe zu dem Geschäftsmann Henri Taourel leidet sie in den späten vierziger Jahren so sehr, daß sie im Rückblick sogar Ravensbrück weniger schlimm findet. Ständig in Geldnöten, hält sie sich mit Filmszenarien über Wasser; einmal noch, 1951, kann sie ein Bühnenbild für Sternheims »Snob« in Nürnberg machen, aber der Erfolg nützt ihr nichts: Weitere Pläne scheitern nicht an ihr, sondern daran, daß geplante Inszenierungen nicht zustande kommen. In all den Jahren versucht sie, ihren Roman zu vollenden – vergeblich. Im Winter 1953 / 54 erkrankt sie an Krebs, am 12. September stirbt sie qualvoll, noch nicht fünfzigjährig, umsorgt von Freundinnen und Freunden: Die Morphiumpräparate zur Linderung der Schmerzen schlagen bei der Süchtigen nicht mehr an. Kurz vor ihrem Tod gelingt ihr endlich so etwas wie eine Versöhnung mit ihrem Leben, das sie immer wieder an den Abgrund geführt, in dem sie aber auch viel Mut gezeigt hat. In einer Nacht schrecklicher Schmerzen notiert sie in ihr Tagebuch: »Und trotz diesem Albtraum-Leben, das das meine ist seit so langer Zeit, / ist eine tiefe Bejahung oder sogar eine glühende Verehrung des ›Lebens an sich‹ in mir. / Nicht des meinen, sicherlich, das nicht mehr ist als Vergeudung, obwohl sogar in diesen schrecklichen Momenten etwas bleibt wie ein ›JA‹, das stärker ist als ich, UNABHÄNGIG vom Ich – Doch in dieser Nacht wünschte ich sehr demütig EINE RUHEPAUSE.« (5. April 1954, Original auf französisch)

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SINN UND FORM 1/2017, S. 40-47, hier: S. 40-43