
[€ 11.00] ISBN 978-3-943297-28-7
Heft 2/2016 enthält:
Scherer, Marie-Luise
Das Dorf, S. 149
Koepsell, Kornelia
Stilles Leben. Gedichte, S. 161
Defoe, Daniel
Kurze Geschichte der pfälzischen Flüchtlinge. Mit einer Vorbemerkung von John Robert Moore, S. 164
Sehr geehrter Herr, in dem letzten Brief, den von Ihnen zu erhalten Sie mich auszeichneten, beliebten Sie, außer anderen wichtigen Dingen, welche (...)
Defoe, Daniel
Kurze Geschichte der pfälzischen Flüchtlinge. Mit einer Vorbemerkung von John Robert Moore
Sehr geehrter Herr,
in dem letzten Brief, den von Ihnen zu erhalten Sie mich auszeichneten, beliebten Sie, außer anderen wichtigen Dingen, welche Ihrer gestrengen und kundigen Feder würdig, zu sagen, daß die Nachricht von der Ankunft so vieler bedrängter Pfälzer zu einem Zeitpunkt, da es in jenen Gebieten keine schreiende Verfolgung gab, die Leute in Ihrer Gegend gar sehr verwunderte, und daß so viele Fremde in Südbritannien aufzunehmen und zu ernähren zu einem Zeitpunkt, da der Handel flau, Beschäftigung knapp, uns ein langer Krieg aufgehalst und jedwede Nahrung dermaßen teuer war, bei Ihnen so mannigfach diskursiert wurde, mit plausiblen Argumenten pro und contra, daß es schwierig erschien zu erkennen, ob diejenigen recht haben, die sich für die Aufnahme und Versorgung der Pfälzer aussprachen, oder diejenigen, die entschieden gegen die Aufnahme von weiteren Fremden nach England auftraten (zumal, wie die Umstände gegenwärtig beschaffen sind).
Einige werden behaupten, die Verköstigung und künftige Versorgung der Pfälzer, in ihrem gegenwärtigen elenden Zustand, bis sie so untergebracht werden können, um durch Fleiß und ehrliche Arbeit für sich selbst aufzukommen, sei nicht nur ein großer Akt christlicher Nächstenliebe, sondern eine Ehre und ein beträchtlicher Gewinn für die gesamte britische Nation, da sie deren Macht und Herrlichkeit vergrößert, den Handel fördert und den Reichtum des Königreiches mehrt: Während andere gegen diese Meinung heftig wettern und sagen, zu diesem Zeitpunkt eine solche Menge von Ausländern hereinbringen heiße die Lebensmittel noch mehr verteuern; unsere einheimischen Handwerker und Arbeitsleute brotlos machen und die Zahl unserer eigenen Armen erhöhen, die bereits zu viele sind und der Nation allzusehr zur Last fallen.
Dieser Einwand, Sir, belieben Sie zu sagen, der zu viele Münder mit Geschrei und Gezeter füllt, ist keiner, den Sie erheben oder billigen (und das glaube ich gern), da Sie sich ganz auf die mildtätige Seite verlegt haben und darauf, dem Befehl Ihrer Majestät zu gehorchen und Dero frommem Beispiel zu folgen, indem Sie Ihr Äußerstes für diese bedrängten protestantischen Brüder tun; allerdings würden Sie mit Argumenten aus London versehen werden, das Sie den Urquell des Gesprächs nennen, um auf die Anmaßungen und das Gezeter von Personen zu antworten, die gegen die armen Pfälzer voreingenommen sind, so daß Sie dadurch vermögend sind, auf ihre Einwendungen zu antworten, um das Interesse dieser leidenden Christen zu fördern, wenn die für diesen Zweck bestimmten Bittbriefe bei Ihnen verlesen werden, mit dem Ziel, Ihre Kollekten zu den Bedürfnissen der unglückseligen Fremden einigermaßen ins Verhältnis zu bringen.
Diesem, Sir, belieben Sie eine bescheidene Bitte hinzuzufügen, daß ich Sie auch mit der genauen Zahl der bereits eingetroffenen Pfälzer versehe. Aus welchen Gebieten sie kamen? Wie sie in diese schlimme Not gerieten? Welche Maßnahmen zu ihrer Ernährung bei ihrer ersten Ankunft ergriffen wurden? Welche danach? Und in welcher Weise sie untergebracht werden sollen, auf daß es Ihrer Majestät zur ewigen Ehre, unserer Religion zum Ruhm sowie der Nation, ihnen selbst und ihren Nachkommen zum Vorteil gereichen möge.
Und also, Sir, damit ich Ihren Befehlen willfahren, Ihren Erwartungen genügen und auf die in Ihrer Anfrage erwähnten mildtätigen Vorhaben antworten kann, habe ich mich seit geraumer Zeit beflissen, mir Kenntnis über sämtliche in Ihrem Brief enthaltenen Umstände zu verschaffen; was hoffentlich den Aufschub meiner Antwort entschuldigt, da ich sie nicht auf persönliche Vorlieben, irrige Vorstellungen oder verbreitete Gerüchte gründen wollte, sondern auf authentische Aussagen und verantwortbare Berichte, die zu geben mir geziemt und Ihnen, sie zu empfangen und weiterzugeben an andere gute Menschen wie Sie selbst, welche, fürchte ich, allzu beeindruckt sind von falschen Auffassungen in der Politik, heterodoxen Maximen in Betreff der Religion und empörenden Äußerungen über die gesetzgebenden Gewalten; oder sonst könnte es zu dieser Tageszeit keinen Zweifel geben, ob die Vervielfachung der Einwohnerzahl zu Macht, Herrlichkeit und Reichtum eines Königreiches beiträgt, ist es doch das feste und erprobte Prinzip des gesamten vernunftgelenkten Teils der Menschheit, daß Menschen Reichtum, Ehre und Macht einer Nation sind und der Wohlstand im gleichen Verhältnis wächst wie die zusätzliche Einwohnerzahl; weshalb der kluge Gesetzgeber den Griechen riet, sie sollten, wollten sie reich und mächtig sein und eine bedeutende Rolle in der Welt spielen, ablassen vom Hochmut und der Eitelkeit ihrer Vergnügungen, Wettkämpfe und Spiele und die Zahl der fleißigen, tätigen und emsigen Menschen vergrößern, welche sie in Kriegszeiten verteidigen und in Friedenszeiten wohlhabend und gefürchtet machen würden. Ihnen, Sir, der Sie sich in der Römischen Geschichte trefflichst auskennen, brauche ich nicht zu sagen, daß Rom, da ein Asylum für Fremde, das Projekt war, das es zur Herrscherin über den größten Teil der damals bekannten Welt machte; und alle Nationen, welche dieselben Methoden anwandten, haben daraus ebenso ihren Nutzen gezogen.
Doch um nicht in die Ferne zu schweifen oder den undeutlichen Fußstapfen des Altertums zu folgen, gebe ich Ihnen ein paar beachtenswerte Beispiele von den festen Gepflogenheiten einiger der weisesten und überaus staatsklugen benachbarten Fürsten und Länder, die es für ihren Vorteil wie auch für ihre Ehre erachten, solch fleißigen Fremden, welche die Bedrückung in Gewissensdingen oder anderes aus ihrer Heimat vertrieben hatte, Ermutigung und Anreiz zu geben, ihren Lebensunterhalt anderswo zu suchen. So hat der kürzlich abgelebte Kurfürst von Brandenburg, der in der Kenntnis der Religionspflichten und wahren Regierungsmaximen niemandem nachstand, aus christlichem Mitgefühl mit den verfolgten Protestanten Frankreichs diese eingeladen, in seine Lande zu kommen und sich dort anzusiedeln; und ihnen, als sie kamen, außer anderen zeitweiligen Privilegien, Holz sowie das Fuhrwerk dafür gegeben, um sich an Örtern nach ihrem Gefallen Häuser zu bauen, sowie pro Kopf zwischen einhundert und zweihundert Kronen, um sich mit all dem zu versorgen, dessen sie bedurften, um sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen zu können. Vergünstigungen, welche sie so gut nutzten, daß die Wohltätigkeit des Kurfürsten ihm nach kurzer Zeit mehr als zwiefach für seine Staatseinnahmen vergolten wurde, so daß der gegenwärtige erlauchte König von Preußen, zur Belohnung ihres Fleißes, die Frist ihrer Befreiung von öffentlichen Steuern und anderen Lasten von fünfzehn auf zwanzig Jahre verlängert hat. Den gleichen Wohltätigkeitsdienst erwies dieser Kurfürst von Brandenburg den armen Pfälzern, die durch das barbarische Hausen der Franzosen gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen und in das Reich dieses Kurfürsten in Deutschland auszuwandern. Es gibt auch eine gedruckte Relation in deutscher Sprache von den großen Immunitäten und Privilegien, die dieser Kurfürst der Pfälzer Kolonie gewährte, welche auswanderte und sich in Magdeburg ansiedelte, im Jahre 1689, in dem diese bedrängten Protestanten eine sichere Freistatt, ein auskömmliches Dasein durch eigenen Fleiß fanden, und gegenwärtig soll sie dem König von Preußen 100 000 Kronen jährlich einbringen; und der muß in den europäischen Angelegenheiten wahrlich gänzlich unbewandert sein, der nicht weiß, welch andere große Dinge der König von Preußen für die armen bedrängten Pfälzer Flüchtlinge seither getan hat und noch tut, sooft die Vorsehung dazu Gelegenheit verschafft; wobei Gott ihn so segnet, daß es ihm stets zum weltlichen Nutzen wie auch zur Gewissensbefriedigung ausschlägt, indem er Gutes für den Haushalt des Glaubens tut. Und warum man in Großbritannien Beschwerde führen sollte über diese Taten der Nächstenliebe, die man bei anderen Fürsten für ruhmvoll hält, vermag ich mir nicht anders zu erklären als durch einen Mangel an gehöriger Aufklärung im Vorstehenden und das Verharren in alten Irrtümern zum Schaden bekannter und erprobter Wahrheiten: törichte Vorurteile, die zu zerstreuen ich Ihnen weitere wiederholte Beweise jener unanfechtbaren und allgemein anerkannten Politikmaxime geben werde, daß Scharen von Menschen Macht und Reichtum einer Nation sind.
Dieser Grundsatz wurde von den klugen und umsichtigen Holländern beherzigt, sogar schon seit der Kindheit ihres nunmehr Hohen und Mächtigen Staates, und hatte stets seine Wirkungen; denn indem sie bedrängte Fremde, besonders Protestanten, verköstigten und ihnen beistanden, wurden sie in den Stand gesetzt, die Spanier zu besiegen und das Joch der Knechtschaft abzuwerfen, das die Schultern dieses nunmehr gewaltigen Volkes so lange wundgerieben hatte: eine Praxis, die sie danach fortsetzten, wann immer die Gelegenheit sich bot. Im Jahre 1670, als in Frankreich die grausame Verfolgung wütete, erwies dieser Staat, durch ein öffentliches Edikt, Gastfreundschaft und Hilfe all jenen Unterdrückten, die es für richtig hielten, in diesem Reich einzuwohnen; und um zu zeigen, daß sie noch im selben Grundsatz fortfahren, obzwar sie kein Land mehr urbar machen oder Schleusen bauen können und bereits jetzt mehr als zehn Menschen gegenüber einem bei uns auf derselben Fläche haben, erließen die Staaten von Holland und Westfriesland, nach dem Beispiel unserer Gesetzgebung in dem neuen Act of Naturalization of Foreign Protestants, ein Placaert, welches das Datum vom 16. des vergangenen Juli trägt, für eine allgemeine Einbürgerung der protestantischen Flüchtlinge, welches folgt:
»Hiermit sei kund und zu wissen gegeben, daß sie in Erwägung dessen, daß die Herrlichkeit und Wohlfahrt eines Landes gemeinhin in der Vielzahl seiner Bewohner besteht und daß absonderlich die Provinzen an Macht und Reichtum wuchsen durch den Zustrom unglücklicher und verstreuter Personen, die, ihres Bekenntnisses zur wahren reformierten Religion oder anderer Bedrückungen wegen aus ihrem Lande vertrieben, in dieser Provinz Zuflucht gesucht haben und nun seit langen zum Wachstum von Handel, Manufakturen und öffentlichem Reichtum beitragen. Daß, ferner, die Flüchtlinge, die Frankreich ihrer Religion halber verließen und nun schon etliche Zeit in diesem Lande leben, sich der gewogenen Aufmerksamkeit der Regentschaft für sich und ihre Familien nicht unwürdig erwiesen haben und folglich deren allgemeinen Schutz genießen sollen, wie die übrigen Einwohner. Aus diesen Gründen haben wir es für richtig befunden, zu befehlen und anzuordnen, wie wir es hierdurch tun, daß alle Personen, welche aus dem Königreich Frankreich, oder anderen Ländern, des Bekenntnisses zur wahren reformierten Religion halber ausgewandert und Zuflucht in den Provinzen Holland und Westfriesland gesucht und sich dort angesiedelt haben, wie auch die Kinder, die sie mit sich brachten, oder welche in Zukunft entweder direkt aus Frankreich, oder anderen Ländern, Zuflucht in dieser Provinz nehmen und dort ihren Wohnsitz wählen, hinfort aufgenommen und als Untertanen und Landeskinder von Holland und Westfriesland anerkannt werden sollen, was wir hiermit tun; und kraft dessen in Zukunft sämtliche Privilegien und Vorrechte haben sollen, die unsere übrigen eingeborenen Untertanen haben; und daß sie folglich das Recht auf Einbürgerung haben sollen, gemäß dem Wortlaut unseres Beschlusses, welcher das Datum des 25. September 1670 trägt. Daß daher alle, welche diese unsere Gunst nutzen wollen, sich persönlich an den Präsidenten oder die Räte des für sie zuständigen Gerichts wenden sollen, oder an die Räte der Städte, die Vögte und Friedensrichter der Dörfer, wo sie ansässig sind oder ihren Wohnsitz zu nehmen gedenken; welche, nach einer kurzen Prüfung, um festzustellen, ob die besagten Personen wirklich Flüchtlinge im vorgenannten Sinne sind, deren Namen registrieren, auf daß dieser für immer ersichtlich sei. Und damit jedermann hiervon Kunde erhalte, ordnen wir hierdurch an, daß es öffentlich gemacht und ausgehängt und in der üblichen Weise durchgeführt wird. Gegeben in Den Haag, am 18. Juli, 1709. Unterschrieben
Simon van Beaumont.«
Die klugen und triftigen Gründe, die im vorstehenden Placaert dargelegt, dünken mich ausreichend, Sir, um jegliches Gezeter zum Verstummen zu bringen, das unter jenen Leuten im Gange ist, die sich ein Ansehen geben, aber von den wahren Interessen Großbritanniens nichts verstehen; denn wenn die Aufnahme fleißiger und emsiger Arbeiter in den Niederlanden sich als so nützlich für den Staat erwiesen hat, ist das eine hinlängliche Begründung für Ihre Königliche Hoheit, sich nicht zu trennen von einem solchen Schatz, wie es die Pfälzer wären für sie, die sie mehr Platz hat, sie aufzunehmen, mehr Ödland zum Urbarmachen und in ihrem Gebiet mehr Manufakturen, sie zu beschäftigen, als alle Provinzen der Niederlande von sich behaupten können. Und Ihre Majestät und Dero Regierung sind auch nicht gleichgültig gegen die unheilvollen Auswirkungen in Spanien, Frankreich, Savoyen und anderen Staaten, die, indem sie ihre besten Untertanen verbannen und keine erfolgreichen Methoden anwenden, ihre Gebiete zu repeuplieren, diese einst so fruchtbaren und blühenden Länder dermaßen ausgelaugt gemacht haben, daß nach menschlicher Voraussicht zwei Zeitalter hintereinander ihnen ihre einstige Wohlhabenheit und Herrlichkeit nicht werden zurückgeben können. Aber von solchen Begründungen abgesehen, diese armen Pfälzer aufzunehmen und ihnen beizustehen ist für mich nur das Begleichen einer rechtmäßigen Schuld für die Gastfreundschaft, die sie vielen unserer gelehrten Geistlichen erwiesen, welche während der Verfolgungen zur Zeit Königin Marias jenseits des Meeres Schutz suchen mußten und in Frankfurt in Deutschland, in der Pfalz, in den Niederlanden, in der Schweiz und anderswo gastfreundliche Aufnahme fanden; und sollen wir nun zulassen, daß ein Nachfahre unserer quondam Wohltäter zugrunde geht aus Mangel an Brot, das uns die Vorsehung zur Linderung in die Arme geworfen hat? Berichtet es nicht in Gat &c. Soll nie einer, zur Schande der britischen Nation, sagen, daß dieselbe der großen Pflicht der Wohltätigkeit nicht Genüge tue, so wie einige unserer Meckerer und Nörgler die Nation verlästern, sondern vielmehr sollen jene engherzigen, unbarmherzigen, scheinheiligen Christen durch Schande gebrandmarkt und von den guten Menschen Englands unterschieden sein, welche großzügig und mit offenen Herzen und Händen zur Ernährung ihrer bedrängten protestantischen Brüder beitragen. Weil sie sich nicht in die Lage dieser armen Pfälzer versetzen und in ihrem Falle tun, was sie wollen, daß man ihnen tue, wenn es der ihre wäre, erfüllen sie die Welt mit Geschrei und Geschwätz, ganz im Gegensatz zu der Religion, zu der sie sich bekennen, die sie zumindest zu schweigenden, wiewohl nicht freigebigen, stummen Bewunderern der Mildtätigkeit anderer machen würde, obgleich sie ohne jegliches Gefühl wären und nicht das Herz hätten, selbst mildtätig zu sein. Wie haben diese erbärmlichen selbstsüchtigen Bestien vergessen, daß, wäre die Vorsehung nicht durch die kürzliche geglückte Revolution schier wundersam zu unserem Behufe eingeschritten, die Lage der Pfälzer auch die unsere hätte sein können, in der düsteren Aussicht, die wir unter einer vormaligen Regentschaft hatten, vor gleicher Verfolgung zu fliehen, als einige unsere Bischöfe im Tower gefangengesetzt wurden, einer von der Ausübung seines Bischofsamtes suspendiert wurde, weil er nicht gegen das Gesetz handeln wollte, und einige unserer Prediger ebenso suspendiert wurden, weil sie gegen papistischen Aberglauben und Götzendienst zu Felde zogen; unsere Kollegen waren in die Hand der Papisten gegeben, und alles lief auf die völlige Vernichtung der protestantischen Religion zu, hätte Gott der Allmächtige der papistischen Raserei nicht Einhalt geboten, wie dem tosenden Meer, indem er sprach, Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; da gefiel es Gott, über unseren Rücken die Geißel zu schwenken, unter welcher die armen Pfälzer lange gelitten, und wie können wir Gott diese Errettung besser vergelten als durch Mildtätigkeit an unseren geplagten Brüdern. Und sollen alle, die diese Pflicht versäumen, ernstlich bedenken, daß beim Jüngsten Gericht unser Erlöser besonders darauf achten wird, ob, als er hungrig gewesen, sie ihn gespeist haben, als er durstig gewesen, sie ihn getränkt haben, als er ein Gast gewesen, sie ihn beherbergt haben, als er nackt gewesen, sie ihn bekleidet haben, als er krank gewesen, sie ihn besucht haben, als er gefangen gewesen, sie zu ihm gekommen sind, und was sie dem geringsten seiner Brüder getan haben, das wird er ansehen, als hätten sie es ihm getan, und jegliches Versäumnis hart bestrafen.
Aus dem Englischen von Heide Lipecky
SINN UND FORM 2/2016, S. 164-200, hier S. 169-174
Buch, Hans Christoph
Die Geburt des Romans aus dem Geist des Cargo-Kults. Eine Robinsonade, S. 201
Wohmann, Gabriele
Schlußapplaus. Gedichte, S. 214
Engelberg, Achim
»Wir leben in einer Zeit der Übergänge.« Gespräch mit Stefan Hertmans, S. 217
ACHIM ENGELBERG: Etliche Autoren, die über den Völkermord an den europäischen Juden oder die Schrecken der Lagerwelt des 20. Jahrhunderts (...)
Engelberg, Achim
»Wir leben in einer Zeit der Übergänge»
Gespräch mit Stefan Hertmans
ACHIM ENGELBERG: Etliche Autoren, die über den Völkermord an den europäischen Juden oder die Schrecken der Lagerwelt des 20. Jahrhunderts schrieben, begingen Selbstmord, etwa Primo Levi oder Jean Améry. Andere wie Jorge Semprún brauchten einen zeitlichen Abstand, um von ihren Leiden erzählen zu können. Nach dem Tod von Imre Kertész sind Sie einer der letzten, die die Schoah in den Mittelpunkt ihres Werkes stellen.
AHARON APPELFELD: Mit Kertész war ich eng befreundet. Ich konnte kein Ungarisch und er kein Hebräisch, aber unsere gemeinsame Sprache war Deutsch, wir kamen beide aus der österreich-ungarischen Kultur. Primo Levis Werke und die der anderen habe ich gelesen. Sie waren älter als ich, zehn oder zwanzig Jahre. Ein beträchtlicher Unterschied. Ich war damals noch ein Kind und konnte keine Memoiren schreiben, dazu muß man bewußt erlebt haben, was geschehen ist. Deshalb stellte sich die Frage für mich etwas anders. Ich konnte nur Literatur schreiben, keine Erinnerungen. Ich fing mit Gedichten an, die aber keinen Wert haben, weil ich in meiner Heimatstadt Czernowitz nur ein Jahr zur Schule gegangen bin. Nach Palästina kam ich 1946, mit fast vierzehn Jahren. Ich konnte weder die Sprache, noch verfügte ich über Bildung. Und es war anstrengend, Hebräisch zu lernen. In einem Kibbuz, wo man uns zu Bauern machen wollte, schrieb ich erste Erzählungen. Ohne meine Eltern, ohne die Familie war ich ziemlich verloren. Vieles war mir fremd. Czernowitz war zwar keine große, aber eine schöne Stadt. Die Lyrikerin Rose Ausländer lebte in derselben Gasse wie ich, es gab außerdem viele Dichter, Schriftsteller, Künstler und eine deutschsprachige Universität. Die meisten Schüler auf dem Gymnasium waren Juden.
In Israel konnte ich mich nicht einfügen in dieses heroisierte, optimistische Leben, die ideologisierte Kultur. Ich trug an meiner Last. Dort aber hieß es: Vergeßt, laßt die Vergangenheit hinter euch, lebt in der Gegenwart. Ich wollte aber mit meinen Eltern leben, den Großeltern, den Bekannten. So geriet ich in Opposition zum damaligen Israel. Glücklicherweise fand ich mit Mitte Zwanzig meinen Vater wieder. Wir hatten beide lange befürchtet, der andere könnte nicht überlebt haben. Mein Vater war in Czernowitz ein tüchtiger Geschäftsmann gewesen, nun hatte er alles verloren. Ich hatte inzwischen auch studiert und gute Lehrer gefunden: Gershom Scholem, Martin Buber oder Samuel Bergman waren assimilierte Juden, die sich mit dem jüdischen Schicksal auseinandersetzten. Später wurden sie meine Freunde. Scholem war nicht nur Historiker, sondern auch Schriftsteller. Sein »Sabbatei Zwi. Der mystische Messias« ist große Literatur. Auch Buber war ein Meister.
ENGELBERG: Mittlerweile sind Sie selbst ein klassischer israelischer Schriftsteller.
APPELFELD: Aber damals war ich noch zu sehr mit der Vergangenheit verbunden. Ich schuf mir erst meine Welt, ich war eher ein deutscher Autor. Deutsch war ja meine Muttersprache.
ENGELBERG: Hatten Sie Mentoren? Wie äußerten sich Ihre Lehrer zu Ihrer Literatur?
APPELFELD: Buber war mein erster Leser. Ich war 27 oder 28 Jahre alt, als ich ihm eine Erzählung gab. Es ging um Leute, die die Schoah überlebt hatten und einsam und verloren nach Israel gekommen waren. Sie konnten hier weder mit ihrer Vergangenheit noch in der Gegenwart leben, sie hatten keine Zukunft. Buber gefiel das Faktische, daß es wenige Adjektive, keine Idealisierung und nichts Didaktisches gab. Ich kam aus der Kafka-Kleist-Tradition. Sie waren meine großen Meister. Ich las beide sehr langsam auf deutsch. Besonders Kafka war mir nah, weil er mit seinem Judentum kämpfte, ähnlich wie Jean Améry. Das Judentum mit seiner langen Geschichte verbindet uns.
ENGELBERG: Wenn Sie ein neues Buch beginnen, was steht am Anfang?
APPELFELD: Gefühle, Stimmungen, Bilder. Es sind Details zu unserem Haus in Czernowitz oder dem in den Karpaten, wo ich meine Großeltern besuchte. Das führt mich voran, Seite um Seite, Kapitel um Kapitel. Wenn ich ein Buch schreibe, habe ich eine Idee. Das heißt nicht, daß ich diese leicht definieren kann. Es beginnt mit etwas Kleinem, einem Tisch etwa, doch dann kommt die allgemeine Idee. Es ist eine Reise. Nehmen wir diesen Raum. Hier gibt es viele Sachen – die Bilder von meinem Sohn Meir hängen an den Wänden –, aber um ihn so zu beschreiben, daß er dem Leser vor Augen steht, brauche ich nur zwei Details. Diese muß man aber erst einmal finden. Ich bin kein nostalgischer Schriftsteller, aber ich liebe meine Figuren. Deren Vorbilder habe ich kennengelernt, während des Krieges und danach. Viele lebten und leben hier in Israel. Das ist die Quelle.
ENGELBERG: Ich las, daß Sie im Kaffeehaus schreiben. Ist das immer noch so?
APPELFELD: Seltener. Ich schreibe nur in Kaffeehäusern ohne rauschende Musik, davon gibt es immer weniger. Das ist aber die Bedingung für mich. Die richtigen Kaffeehäuser verbinden mich mit denen zu Hause in Czernowitz. Da gab es viele – wie in Wien.
ENGELBERG: Sie schreiben aber immer noch mit der Hand, anschließend mit der Maschine?
APPELFELD: Ich glaube, jeder Schriftsteller, vielleicht jeder Künstler sollte das Physische, das Sensuelle mit Papier und Handschrift empfinden. Ich schreibe alles zuerst mit der Hand, aber jetzt benutze ich keine Schreibmaschine mehr, sondern eine Frau kommt und ich diktiere und korrigiere gleichzeitig. Jedes Buch benötigt einige Fassungen. Die Sätze sollen schön sein.
ENGELBERG: Sie erschrieben sich eine Welt aus Worten, ein Werk von fünfundvierzig Bänden. Trotz mancher Kritik haben Sie Buch um Buch veröffentlicht. Wann kam der Durchbruch?
APPELFELD: Am Anfang gab es in Israel diese primitive Reaktion auf meine Literatur: »Du lebst noch dort, nicht hier.« Sie wollten den großen starken Juden. Ich hatte es schwer, bis sie begriffen, daß ich über Leute schreibe, die wie ich hier in Israel leben. Damals waren rund fünfzig Prozent der Bevölkerung Überlebende der Schoah. Der Durchbruch kam allmählich, vor allem nach der ersten englischen Übersetzung. Der renommierte Kritiker Irving Howe schrieb eine Rezension des Romans »Badenheim«, das Buch erschien auf der Titelseite der New York Times Book Review.
ENGELBERG: Howe war zwar in der New Yorker Bronx geboren, aber seine Eltern kamen aus Osteuropa, genauer: aus Bessarabien. Viele der Gründungsväter Israels stammen, politisch wie kulturell, aus dieser Region. Tel Aviv nannte man in den fünfziger Jahren auch »Lodz am Mittelmeer«.
APPELFELD: Es war nicht nur Lodz. Sie kamen aus verschiedenen Ländern. Viele waren Verlorene, sie tranken reichlich Wodka, spielten Karten, gingen zu Prostituierten. Es war eine Reaktion auf die Lager, aus denen sie kamen. Aber sie wurden zu meinen Helden.
ENGELBERG: Über zwanzig Jahre waren Sie Professor in Be’er Sheba, der Hauptstadt der Negev-Wüste, wo Sie noch einmal ein ganz anderes Milieu kennenlernten.
APPELFELD: Meine Vorlesungen waren gut besucht. Ich verglich die jüdischen Literaturen verschiedener Kulturen, wobei mich vor allem die deutsche interessierte, Kafka, Heine, insbesondere seine Prosa. Ich schrieb auch einige Aufsätze, etwa über Isaac Bashevis Singer, der rechtzeitig aus Polen in die Vereinigten Staaten ausgewandert war.
ENGELBERG: Er siedelte sein Werk in ähnlichen Gegenden an wie Sie, hat ähnliche Trennungen wie Sie erlebt. Seinen Sohn, der mit seiner Mutter nach Moskau, später nach Palästina emigriert war, sah er zwei Jahrzehnte lang nicht. Seine Nobelpreisrede hielt er 1978 auf Jiddisch.
Plötzlich ertönt eine Sirene. Wir stehen auf. Es ist Jom haSikaron, der Gedenktag an die gefallenen israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus, auf den der Unabhängigkeitstag folgt. Aharon Appelfeld ist sichtlich bewegt und bleibt die zwei Minuten, in denen der Ton zu hören ist, stehen.
APPELFELD: Letzte Woche war Jom haScho’a, der Gedenktag an die Schoah.
Heute nun dieser Tag. Das weckt viele Erinnerungen.
[…]
SINN UND FORM 2/2018, S. 168-175, hier S. 168-171
Hertmans, Stefan
Zwischen Gedenken und Erinnern. Über individuelle und kollektive Identität, S. 228
Benrath, Ruth Johanna
Und die seligen Augen (Letzte Fassung). Gedichtzyklus, S. 236
Schlaffer, Heinz
Erzählen in Versen, S. 241
Lange, Hartmut
Im Banne der Kunst. Leipziger Poetikvorlesung, S. 251
Kiefer, Reinhard
Die Urwelt steht ihnen offen. Gedichte, S. 262
Lehr, Thomas
Der Schmetterling der Zeit. Versuch über die literarische Gegenwart, S. 264
Krieger, Hans
Die Wiederkehr des Reims. Form als Sinn – zu einem Gedicht von John Donne, S. 273
Zu den erstaunlichsten Entwicklungen der neueren Lyrik gehört die geräuschlose Rehabilitierung des Reims. Lange war er verpönt gewesen als Relikt (...)
Krieger, Hans
Die Wiederkehr des Reims. Form als Sinn - zu einem Gedicht von John Donne
Zu den erstaunlichsten Entwicklungen der neueren Lyrik gehört die geräuschlose Rehabilitierung des Reims. Lange war er verpönt gewesen als Relikt einer entleerten Tradition, als Konventionskrücke der Epigonen, gar als trügerische Schönrednerei, die das Disparate der modernen Welt mit glättender Harmonie überschminkt. Nur für die Humoristen unter den Versemachern war er, seiner Liaison mit der Pointe wegen, ein probates Mittel geblieben. Nun aber, noch etwas schüchtern und manchmal mit Anzeichen von Muskelschwäche nach zu langem Stilliegen, betritt der Reim erneut die Bühne. Und auch manche von denen, die seiner sinnlichen Wirkpotenz besonders entschieden unauffälligere Ordnungsmittel der gebundenen Rede hatten entgegensetzen wollen, erliegen wieder seinem Zauber, der in eine weit entfernte mythisch-magische Vergangenheit zurückreicht.
Für den Übersetzer von Lyrik bleibt der Reim, was er war: ein Problem und eine Herausforderung. Eine Erschwernis also: Wo er es mit gereimten Gedichten zu tun hat, muß er nicht nur Sinngehalt, Bildprägungen, Sprachmuster und Tonfall nachbilden, sondern obendrein nach vorgegebenem Schema die Versenden zum Gleichklang binden. Da das in der Praxis oft nicht ohne Verrenkungen abging, die das Ergebnis schwerfällig und verkrampft wirken ließen, haben viele Übersetzer, gerade auch bedeutende, sich zum Reimverzicht entschlossen – eine Übung in demütiger Askese, um »nahe am Text« zu bleiben. Kann man aber nahe am Text sein, wenn man diesem Text wesentliche Momente seiner Klanggestalt nimmt?
Niemand käme auf die Idee, ein reimloses Gedicht gereimt zu übersetzen; das wäre Verfälschung. Wieso ist es dann keine Verfälschung, wenn man ein gereimtes Gedicht reimlos übersetzt? Der Klang kann für die Wirkung entscheidender sein als der Wortlaut. Eichendorffs berühmte »Mondnacht« könnte in der dritten Strophe auch so lauten: »Und meine Seele spannte / ihre Flügel weit aus / und flog durch das stille Land, / als ob sie nach Hause flöge.« Philologisch fehlt nichts, poetisch fehlt alles. Der Zauber ist verflogen.
Aber nicht nur die metaphysisch geweitete Naturstimmung braucht ihre spezifische Klanglichkeit, um zur Wirkung zu kommen. Für den satirischen Witz, den polemischen Sarkasmus, das anzügliche Geplänkel ist der Reim der Treffer des Florettfechters. Vor kurzem hat die »Frankfurter Anthologie« der FAZ John Donnes berühmtes Gedicht »Der Floh« in der klassischen Übertragung von Werner von Koppenfels wieder in Erinnerung gerufen. Das Original ist selbstverständlich perfekt gereimt, nach einem sehr eigenen Muster: Die drei neunzeiligen Strophen lassen auf jeweils drei Reimpaare eine Reim-Trias folgen. Die Reimpaarung versinnbildlicht auf doppelte Weise die Grundidee: Sie entspricht der ersehnten Vereinigung des Galans mit der noch spröden Geliebten, die der Floh auf sehr physische Weise symbolisch vollzogen hat, indem er die beiden nacheinander blutsaugend gebissen hat; sie entspricht zugleich der Koppelung des Unvereinbaren, des Liebeswerbens mit der Banalität eines Parasitenbisses. Die dreifache Wiederholung der Reimpaarung aber und der abschließende Reim-Dreiklang korrelieren mit der dreifachen Todsünde, welche die Angebetete mit der Tötung des Flohs begeht, weil sie damit den Liebhaber, sich selbst und auch das Medium der Vereinigung beider umbringt – was für den theologisch geschulten John Donne wohl auch eine wenig respektvolle Anspielung auf die Trinität war.
Warum nur hat Werner von Koppenfels die hier so entscheidende Reimform nicht gewahrt? Daß er sich aufs Reimen versteht, hat er doch wiederholt bewiesen, etwa an Balladen von François Villon. Die bloßen Assonanzen oder Halbreime, die er statt dessen bringt (»zugleich« auf »heißt«, »Mensch« auf »nennt«, »zuletzt« auf »Bett«), sind im Grunde enttäuschender als völliger Reimverzicht, weil sie wie mißglückte Reimversuche wirken. Es ist aber gar nicht so schwer, John Donnes Gedicht auch auf deutsch streng zu reimen. Beispielsweise so (unter gelegentlicher Verwendung einzelner Formulierungen von Werner von Koppenfels):
DER FLOH
Sieh diesen Floh! Und sieh, was er uns lehrt:
Ist, was du mir verweigerst, so viel wert?
Gebissen hat er mich und dann dich auch,
Vermischt ist unser Blut in seinem Bauch.
Daß dies nicht Sünde ist, mußt du bekennen,
Man kann’s nicht Schmach, nicht Raub der Unschuld nennen.
Was er genießt, so mühelos und frei,
Mit Lust gebläht vom einen Blut der zwei –
Wer sagt, daß dies für uns nicht schicklich sei?
Halt ein! Der Hochzeitssegen uns gegeben,
Wenn du ihn totschlägst, mordest du drei Leben:
Du tötest mich und dich mit einem Streich
Und triffst, worin vereint wir sind, zugleich,
Den Hochzeitstempel aus lebendgem Holz,
Der uns gepaart hat, trotzend deinem Stolz.
Mich umzubringen schreckt dich ja nicht sehr,
Doch Sakrileg und Selbstmord wiegen mehr.
Todsünde dreifach, daran trägst du schwer.
O übereilte Willkür! Hast du jetzt
Den Finger mit der Unschuld Blut benetzt?
Was tat es denn, das arme kleine Tier,
Als daß es trank ein Tröpfchen Blut von dir,
Von dem du selber sagst – und hast ja recht –,
Es habe weder dich noch mich geschwächt?
Ach, eitle Ängste! Dich mir hinzugeben
Nimmt deiner Ehre mehr nicht, als was eben
Der Tod des Flohs dir nahm von deinem Leben.
Unterschlagen habe ich, im Unterschied zu Werner von Koppenfels, eine metrische Feinheit: den regelmäßigen Wechsel von vierhebigem und fünfhebigem Jambus. Diese Subtilität ist als Ausdruck eines Moments von Ungleichheit in der Paarung gewiß nicht ohne Bedeutung; sie scheint mir aber von weitaus geringerem Gewicht zu sein als die Wahrung der Reimform, mit der die Schlagkraft des Witzes dieser geistUnterschlagen habe ich, im Unterschied zu Werner von Koppenfels, eine metrische Feinheit: den regelmäßigen Wechsel von vierhebigem und fünfhebigem Jambus. Diese Subtilität ist als Ausdruck eines Moments von Ungleichheit in der Paarung gewiß nicht ohne Bedeutung; sie scheint mir aber von weitaus geringerem Gewicht zu sein als die Wahrung der Reimform, mit der die Schlagkraft des Witzes dieser geistreich-frivolen Verführungsrhetorik steht oder fällt. Der »Floh« des Shakespeare-Zeitgenossen John Donne ist mir aber nur aktueller Beispielsfall für die immense Bedeutung der Klanggestalt des Gedichts. In der Klanglichkeit erscheint der Sinn als Form. Wer als Übersetzer den Reim umgeht, kapituliert vor der eigentlichen Aufgabe, die mehr verlangt als nur philologische Treue.
SINN UND FORM 2/2016, S. 273-275
Thimm, Günter
Frische Pflaumen. Enzensberger und Detering übersetzen William Carlos Williams, S. 275
Matt, Peter von
Claudio Magris. Visionen aus der Erfahrung der Grenze, S. 280
Krzeminski, Adam
Hannah Arendt und Polen, S. 281