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über SINN UND FORM

Pressestimmen

Rainer-M. E. Jacobi, Mitteilungen der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft

Einen Fuß in der Tür

Dieter Janz im Gespräch über sich und sein Arzttum

 

Immer wieder hört man die Frage, was denn unter anthropologischer Medizin oder medizinischer Anthropologie zu verstehen sei, worin das Besondere einer Medizin im Sinne Viktor von Weizsäckers eigentlich bestehe? Genau hierzu gibt jetzt Dieter Janz in seinem Gespräch mit Sebastian Kleinschmidt und Matthias Weichelt auf überzeugende Weise Auskunft. Wie sonst nirgends in der breiten Literatur zu Weizsäcker und wohl auch nicht bei ihm selbst, findet sich auf den ersten beiden Seiten dieses im aktuellen Heft von „Sinn und Form“ enthaltenen Gesprächs eine wahrhaft meisterliche, in ihrer Dichte und Durchsichtigkeit faszinierende Darstellung, wie sie trotz ihres knappen Umfangs ausführlicher nicht sein könnte. Sie vereint den kundigen Quellenhinweis mit der Beschreibung des Urphänomens medizinischer Anthropologie und gibt Einblick in die Praxis anthropologischer Medizin. Denn es ist diese Praxis, die das eigentlich Besondere ausmacht. Sie wird hier auch für den medizinisch nicht geschulten Leser eindrucksvoll und verständlich als ein doppelter Umgang vorgestellt: als Umgang von Arzt und Krankem und als Umgang des Kranken mit seiner Krankheit.

Sowohl an konkreten Krankengeschichten wie auch an den Erfahrungen, die Dieter Janz bei seinem Lehrer Paul Vogel, einem Schüler Viktor von Weizsäckers, machen durfte, wird im Fortgang des Gesprächs immer deutlicher, dass es diese beiden Umgangsweisen sind, die in ihrem Zusammenspiel Methode und Heilkraft anthropologischer Medizin begründen. Selbst der vielbestrittene Anspruch Weizsäckers, in jeder Krankheit einen Sinn finden zu können, gewinnt im Licht der hermeneutischen Formel vom „Antwortcharakter“ ganz neue Evidenz. Krankheiten als Antworten auf Fragen zu verstehen, die zunächst weder der Kranke noch der Arzt kennt, eröffnet ein Feld gemeinsamer Erkenntnisbildung, die zugleich auch Geschichtsbildung ist. Die lebensgeschichtliche Einbettung des Erkrankens wie des Gesundens lässt hinter der zumeist etwas unklaren Rede vom Sinn eine Aufgabe für den Arzt wie den Kranken erkennen – nämlich: "die Wahrheit der Krankheit zu finden." Hierbei ist es von Nutzen, souverän genug zu sein, um nichts für Zufall zu halten. Dieter Janz sieht darin gar ein "methodisches Axiom."

Hinter dieser Einstellung, mit der sich die Skepsis gegenüber vermeintlich "objektiv begründeten Erkenntnisschranken" verbindet, kommt nicht nur "der dem philosophischen Denken verpflichtete Neurologe Dieter Janz (als) legitimer Erbe des Werkes Viktors von Weizsäcker" zum Vorschein, mehr noch zeigt sich, dass es bei der Medizinischen Anthropologie tatsächlich um eine "allgemeine Lehre vom Menschen" geht – doch nicht von dem ist die Rede, was der Mensch ist, sondern von dem, was der Mensch wird. Besonders deutlich wird dies in den Teilen des Gesprächs, in denen Dieter Janz von sich selbst spricht. So die schier unglaubliche Szene seiner ersten Begegnung mit Paul Vogel, an dessen Haustür er klingelte, um sich auf Empfehlung von Alexander Mitscherlich vorzustellen. Mit einem Fuß in der Tür verhinderte er nicht nur das jähe Ende dieses Vorstellungsversuchs, er eröffnete vielmehr sich und allen, die später mit ihm waren, eine Wirkungsgeschichte, ohne die es in der medizinischen Landschaft heute anders aussähe. Dann der eindrucksvolle und nachdenkliche Ausklang des Gesprächs. Hier geht es um die Freiheit des Alters und die Begabung zur Freundschaft, auch der zu sich selber, und um die recht eigentümliche Dialektik von Belebung und Bedrohung. Schließlich geht es um die Frage nach den Aufgaben, aber nicht der Aufgaben, die man sich selber stellt, sondern jener anderen, die sich uns stellen und uns so am Leben halten, ohne dass es in unserem Beschluss liegt, wann das endet.

Rainer-M. E. Jacobi, Bonn

Mitteilungen der Viktor von Weizsäcker Gesellschaft

Nr. 27 (2011)

 

Das Gespräch mit Dieter Janz ist in SINN UND FORM 2/2011 erschienen.