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Heftarchiv – Leseproben

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[€ 11.00]  ISBN 978-3-943297-24-9

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Leseprobe aus Heft 4/2015

Horn, Eva

AIR CONDITIONING
Die Zähmung des Klimas als Projekt der Moderne


Ankunft in Changi Airport, Singapur. Ich betrete eine luxuriöse Teppichlandschaft mit großen Orchideeninseln, kühl und geordnet, die Abfertigung verläuft zügig. Dann öffnen sich die Glastüren nach draußen. Es sind nur ein paar hundert Meter bis zum Taxistand. Ich trete in etwas ein, das nicht Luft, sondern ein kompaktes Medium zu sein scheint. Etwas, das sich zwar atmen läßt, aber meinen Körper wie eine Art Gelee umschließt. Durch diese feucht-heiße Dichte zerre ich mein Gepäck, ungeduldig, eilig, zunehmend kurzatmig und mit pochendem Schädel. Ich schwitze und werde innerhalb von Minuten schlapp und dumpf, der Kopf dröhnt, Finger und Gesicht sind geschwollen. Als ich mich schließlich ins klimatisierte Taxi fallenlasse, schnappe ich nach Luft und genieße einen Moment lang die trockene Kälte auf meinem nassen Körper. Erst dampfe ich noch die angestaute Hitze aus, dann wird die Haut im kalten Luftstrom schnell ungesund klamm. Eben noch einem Hitzekollaps entronnen, krame ich jetzt mit kühl-feuchten Gliedern benommen nach einer Jacke.

In dieser frösteligen Luft, mindestens 10 Grad Celsius unter der Außentemperatur, so weiß ich einige Wochen später, verbringt man heute in tropischen Städten den Großteil seiner Zeit. Nutzt man das Geflecht der U-Bahn-Schächte und Shopping-Malls, kann man Singapur, wo das ganze Jahr um die 30 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit herrschen, weitgehend in klimatisierten Zonen durchqueren. Ist man doch einmal »draußen«, muß man lernen, was jeder Bewohner Singapurs, so eilig er seinen Geschäften nachgehen mag, verinnerlicht hat: Schatten suchen, Mittagszeit vermeiden, nicht zuviel essen – und vor allem: sich langsam bewegen. Aber den Rest der Zeit verbringt man in Klimakapseln bei knapp 20 Grad und künstlich getrockneter Luft, immer eher zu kühl als zu warm. Und dort kann man sich genauso hektisch bewegen, wie man es aus den Arbeitswelten von Berlin, London oder New York gewohnt ist.

Der Aufstieg dieser Stadt in drückend warmem Klima zu einem der wichtigsten Wirtschaftszentren Südostasiens wäre nicht denkbar ohne eine Technologie, die es erst seit weniger als hundert Jahren gibt: Air conditioning. Nicht zufällig nannte der Singapurer Publizistik-Professor Cherian George seine Heimatstadt die »Air Conditioned Nation«, und natürlich gilt das gleiche für etliche andere Metropolen wie Dubai, Shanghai, Bangkok, Mumbai oder die sich mit Rentnern füllenden Großstädte des amerikanischen Sun Belt von Florida bis Kalifornien. Dabei wurde Air conditioning Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst nicht zur Erhöhung des menschlichen Komforts entwickelt. Die ersten Klimaanlagen dienten hitze- und feuchtigkeitsempfindlichen Produktionsprozessen, wie Druckverfahren oder Fleischverarbeitung. In den zwanziger Jahren zog die Klimaanlage in die amerikanischen Kinos und Kaufhäuser ein, die in der erstickenden Sommerhitze unter starkem Kundenschwund litten. Seit den fünfziger Jahren erobert die Klimatechnik von den USA aus die Privathaushalte und Großraumbüros der ganzen Welt. In Singapur geht über die Hälfte aller verbrauchten Energie in Kühlanlagen. In den USA haben nur noch fünf Prozent der neueren Bauten keine zentrale A/C. Indien und China sind explodierende Wachstumsmärkte für Klimatechnologie, und selbst in Mitteleuropa gibt es praktisch keine neueren Hochhäuser mehr, die keine Klimaanlage besäßen. Stan Cox, der ein Buch über den Siegeszug des Air conditioning in den USA geschrieben hat ("Losing our Cool«, 2012), schätzt, daß heute eine Trillion Kilowattstunden Strom jährlich für Kühlung verbraucht werden. Niederländische Forscher erwarten gar eine Verzehnfachung dieses Verbrauchs bis 2050. Auch in Deutschland boomt der Einbau von Klimaanlagen nicht nur in öffentlichen Gebäuden wie Krankenhäusern; seit den Hitzewellen von 2003, 2006, 2010 und 2013 werden sie auch zunehmend in Privathäusern installiert.

Air conditioning erfüllt einen der ältesten Menschheitsträume: eine Welt ohne Hitze oder Kälte, ohne Regen, Schnee oder Schwüle, ohne Staub und Wind. Die künstliche Klimatisierung erzeugt einen Raum ohne Wetter und ohne Temperaturextreme, eine Sphäre ohne meteorologische Überraschungen und saisonale Rhythmen. Sie temperiert einen Raum gemäß der immer schmaler werdenden menschlichen Komfortzone. »Gerade richtig«, wie es im englischen Märchen von »Goldilocks« heißt, weder zu warm noch zu kalt, weder zu naß noch zu trocken. Natürlich heißt das nicht notwendig Kühlung. Menschheitsgeschichtlich bedeutete das Projekt einer Temperierung der Umgebung zunächst, sich schützende Behausungen zu suchen oder zu bauen, eher Kapseln der Wärme als der Kühle. »Insulation« nennt das Peter Sloterdijk und sieht darin die grundlegende Geste eines menschlichen In-der-Welt-Seins, das sich lebbare »Sphären« schafft, in denen es vor feindlichen oder unangenehmen Einflüssen geschützt ist. Kleidung wird hergestellt, um ein wärmendes Mikroklima um die Haut zu legen. Steinhäuser erzeugen eine Modulation des Wohnklimas, indem sie sommers kühlen und winters Wärme speichern. Mit dem Übergang zum Ackerbau beginnt der Mensch schließlich, auch die ihn umgebenden Landschaften zu verändern. Er bewässert Felder, rodet Wälder oder legt Feuchtgebiete trocken, um darin wohnen, Pflanzen anbauen und Vieh halten zu können. Aus nassen Wäldern werden Steppen und Felder, aus Schwemmgebieten fruchtbares Ackerland, mit Folgen für deren Klima. Schon Johann Gottfried Herder bestimmte 1784 den Beginn jeder Kultur als Modulation des Klimas durch den Menschen: »Nun ist keine Frage, daß, wie das Klima ein Inbegriff von Kräften und Einflüssen ist, zu dem die Pflanze wie das Tier beiträgt und der allen Lebendigen in einem wechselseitigen Zusammenhange dienet, der Mensch auch darin zum Herrn der Erde gesetzt sei, daß er es durch Kunst ändre. Seitdem er das Feuer vom Himmel stahl und seine Faust das Eisen lenkte, seitdem er Tiere und seine Mitbrüder selbst zusammenzwang und sie sowohl als die Pflanze zu seinem Dienst erzog, hat er auf mancherlei Weise zur Veränderung desselben mitgewirkt. Europa war vormals ein feuchter Wald, und andre jetzt kultivierte Gegenden waren’s nicht minder: es ist gelichtet, und mit dem Klima haben sich die Einwohner selbst geändert.« (Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit II, Buch 7)

Nicht nur prägt das Klima den Menschen, sondern er ändert sich selbst, indem er das Klima ändert und seinen Lebensformen anpaßt. Was sagt Air conditioning über uns? Der Mensch schafft sich seine Welt, indem er für sich komfortable Atmosphären schafft. So beginnt das Anthropozän – jene Epoche, in der der Mensch seinen unauslöschlichen Abdruck in den geologischen Schichten der Erde hinterlassen hat – vielleicht nicht erst, wie Paul Crutzen vorgeschlagen hat, mit der industriellen Revolution, die um 1800 durch die Dampfmaschine ihren Aufschwung nahm. Seit ihrer Seßhaftwerdung nach der Eiszeit ändern Menschen Landschaften und ihr jeweiliges Mikroklima durch Kulturtechniken. Zivilisation beginnt als Herstellung einer dem Menschen zunehmend angepaßten, von ihm bearbeiteten und genutzten Natur. Klima-Kontrolle ist damit nicht ein Produkt der Komfortgesellschaft des 20. Jahrhunderts, sondern Kern des zivilisatorischen Projekts, sich von den Fährnissen der Natur zu befreien, gerade da, wo sie sich uns nicht als greif- und gestaltbares Ding, sondern als flüchtige Atmosphäre zeigt. Diese Atmosphäre umfängt und durchdringt uns unausweichlich. Die Überraschungen des Wetters und der unerbittliche Gang der Jahreszeiten sind seit alters her Inbegriff dessen, was der Mensch weder planen noch beeinflussen kann. Das Wetter ist eine Bühne der Götter und ihrer Launen, das Klima eine Kraft, die Körper und Geist der Menschen prägt. Oder wie Herder schön wortspielerisch formulierte: »das Klima neigt«. Hitze neigt uns zur Schlaffheit, Kälte zur Bewegung. Schon Hippokrates wußte um den starken Einfluß klimatischer Faktoren auf Körper und Geist, auf Lebensweise und Krankheiten an einem gegebenen Ort: die Winde, die dort wehen, Böden, Wasserquellen, Temperaturen, ungute Dämpfe oder Feuchtigkeit, die Bedeutung der Jahreszeiten. Wer die Wirkungen des Klimas nicht kennt, versteht weder die Prozesse des menschlichen Körpers noch die Eigenheiten und Unterschiede zwischen den Gesellschaftsformen in verschiedenen Klimazonen. So gesehen ist Klima das, was einen Ort von anderen unterscheidet und die Eigenart der Menschen wie ihre Lebensform an einem gegebenen Ort bestimmt. Der Rechtsphilosoph Montesquieu dachte diesen Gedanken im 18. Jahrhundert weiter, als er die Gesetze und sozialen Institutionen der verschiedenen Zivilisationen auf das Klima bezog, in dem sie angesiedelt waren ("Vom Geist der Gesetze«, 1748, XIV. Buch). Hitze, so meinte er, mache den Körper schlaff und den Geist feig und träge, rege aber auch die Phantasie und erotische Begierden an. Kälte dagegen mache straff, stark, kühn, gesetzestreu und phantasielos, aber auch relativ unempfindlich gegen sinnliche Reize. Also brauchten Völker heißer Zonen andere Gesetze und Regierungsformen als die Bewohner kalter Zonen. Institutionen wie Polygamie, Sklaverei oder Despotie im hitzedurchwirkten Orient, die kältegewöhnte Europäer meist höchst befremdlich finden, verstand Montesquieu als Reaktionen auf das heiße Klima. Eine Erfindung wie die romantische Liebe begriff er als ein Mittel, die erotisch unlustigen Nordeuropäer doch noch zur Fortpflanzung anzuregen.

 

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SINN UND FORM 4/2015, S.455-462, hier S.455-458