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[€ 11.00]  ISBN 978-3-943297-21-8

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Leseprobe aus Heft 1/2015

Delius, Friedrich Christian

Der Stolz der Akademie
Gruß an Sinn und Form


 

Ein Abend von und mit »Sinn und Form«. Es ist also auch eine, ja, was eigentlich, eine Institution zu begrüßen, die nicht leicht zu fassen ist, die selten im Rampenlicht steht, eine ehrwürdige, quicklebendige, weithin wirksame literarische Stimme, nein, eine schwer definierbare Summe von Stimmen. Die Zeitschrift »Sinn und Form« ist kein Sprachrohr der Akademie der Künste, aber sie erscheint unter dem Dach der Akademie der Künste – und wirkt als derzeit beste deutsche literarische Visitenkarte weit über Berlin und Brandenburg hinaus, vermutlich bis zu unseren Antipoden an irgendeiner Universität in Neuseeland. Diese Zeitschrift ist der Stolz der Akademie, unverzichtbar für Leute mit der Kernkompetenz Wort abseits des Mainstreams. Der Stolz der Akademie, gerade weil sie es nicht leicht hat, trotz steigender Auflage, im Gegenwind des vulgärbetriebswirtschaftlichen Effizienzdenkens zu segeln.

Manche werden sagen: Kennen wir doch seit Jahren, seit Jahrzehnten, »Sinn und Form«, im sechsundsechzigsten Jahr, eine anständige, vielseitige Zeitschrift, ja, aber vielleicht heute doch ein bißchen altmodisch. Erlauben Sie, daß ich dem Vorurteil altmodisch, wenn es denn negativ gemeint sein sollte, entschieden widerspreche.

Natürlich lebt die Zeitschrift immer noch von ihrem Mythos, der mit dem Namen Peter Huchel verbunden ist. Der Mythos gründet, vereinfacht gesagt, auf Huchels programmatischem Satz aus dem Jahr 1949: »Wir werden uns nicht uniformieren.« Ein Satz, der damals mit unverschämtem, also angemessenem Selbstbewußtsein die Kulturpolitik der SED in die Schranken wies. Was einst gegen die Partei gemünzt war, galt unter Sebastian Kleinschmidt für die schwierige Übergangsperiode nach dem Ende der DDR und gilt heute für den gnadenlosen Markt. Mit dem Unterschied, daß wir uns alle auf diesem Markt tummeln und daß es auch ein wenig von uns abhängt, wer hier scheitert oder triumphiert. Aber eins steht fest – wer sich heute an den Satz hält: »Wir werden uns nicht uniformieren «, der ist alles andere als altmodisch, sondern vielmehr gegen die allgemeine Uniformierung der Gegenwart und der Zukunft schon recht gut gerüstet.

Uniformierung droht heute von vielen, insbesondere von zwei Seiten. Zum einen wird der Aberglaube geschürt, Literatur habe ihre Existenzberechtigung dadurch zu beweisen, daß sie sich noch mehr der Unterhaltungsindustrie und der Kriminalromantisierung der Welt anzupassen habe. Zum zweiten der Aberglaube, nur das, was heute elektronisch gelesen werde, was digitale Schreibweisen präsentiere, habe noch Zukunft. Nichts gegen E-Books und die technischen Errungenschaften, die den Zugang zu Büchern erleichtern, aber es ist ziemlich belanglos, wieviel Prozent der Bücher in Zukunft mittels Papier oder Silizium oder sogenannter Wolken ihre Kundschaft erreichen. Entscheidend ist, ob auf dem Umweg über Algorithmen neue ästhetische Formen entstehen, die der Uniformierung widerstehen – und da sieht es bislang noch ziemlich dürftig aus.

Die Zeitschrift »Sinn und Form« ist also unverzichtbar, solange die Kulturindustrie aus simplen Renditegründen gegen zwei kulturelle Errungenschaften kämpft, gegen Sinn und gegen Form. Deshalb sind die Debatten um Sinn und um Form nicht von gestern, sie sind von morgen.

Was zeichnet eine gute literarische Zeitschrift aus? Sie dient keiner Ideologie und keiner literarischen Richtung, das versteht sich. Ihr soziales Netzwerk gründet seit Jahrzehnten auf der Freundschaft zu Qualität und zu freiem Denken. Die Redaktion einer solchen Zeitschrift fördert den produktiven Austausch unter lesenden, denkenden Menschen. Außer dieser erfüllt sie keine Erwartungen. Im Gegenteil, sie ist für Überraschungen da. Ihre Leser sind nicht darauf angewiesen, in ihren Meinungen, ihrem Weltbild bestätigt zu werden. Sie müssen keine Anbiederung fürchten. Wer, wenn nicht die Redaktion einer solchen Zeitschrift, erinnert mit Erzählungen, Gedichten, Essays, Reden daran, was das ist oder sein kann: Niveau. Sie operiert mit den feinsten literarischen Kriterien. Sie liefert selten Antworten, sie treibt die Fragen weiter. Sie belehrt und erfreut mit klugen Gedanken ihre Leserschaft, vorzugsweise gerade dann, wenn diese es nicht erwartet. Sie blickt, zumindest potentiell, in jede Ecke der Welt, auf alle Weltliteraturen. Auch im neusten Heft wieder, dessen Vielfalt ich hier gar nicht wiedergeben kann.

Verzeihen Sie, meine Damen und Herren, heute mußte »Sinn und Form«, stets bescheiden und nobel zurückhaltend, einmal besonders begrüßt und gepriesen werden.

SINN UND FORM 1/2015, S. 138-139