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Heftarchiv – Leseproben

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[€ 9.00]  ISBN 978-3-943297-20-1

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Leseprobe aus Heft 6/2014

Schlaffer, Hannelore

Die Heimat tritt in den Krieg ein. Brechts Mütter


In einem beträchtlichen Teil von Brechts Stücken ist die »Heldin« eine Mutter: in »Die Mutter«, »Die Gewehre der Frau Carrar«, »Mutter Courage«, »Der kaukasische Kreidekreis«, »Coriolan«; zudem hat Brecht Gerhart Hauptmanns Dramen »Der Biberpelz« und »Der rote Hahn« bearbeitet, in denen Mütter Hauptrollen haben. Carl Pietzckers Buch »Ich kommandiere mein Herz – Brechts Herzneurose« (1988) führt diese poetische Eigenart auf den frühen Tod von dessen Mutter zurück. Auf ihren Tod 1920 reagierte er so demonstrativ achtlos – am Tag danach veranstaltete er auf seiner »Bude« ein Gelage mit Freunden –, daß eine psychoanalytische Herleitung dieser Verdrängung sowie der Wiederkehr des Motivs der »Mutter« im Werk durchaus angebracht scheint.

Nun ist Brecht aber nicht nur ein Kind seiner Mutter, sondern auch ein Kind seiner Zeit. Die Mutter ist seit 1914, als in dem Sechzehnjährigen das literarische Bewußtsein erwachte, zu einer der Leitfiguren des Jahrhunderts, seiner Politik und Ideologie avanciert und daher Brecht auch von außen zugekommen. Im nationalistischen, sozialistischen wie faschistischen Lager rückt sie in eine dominante Position, verläßt den privaten Raum und wird zur politischen Funktion. Stets ist in den neuen Ideologien die mütterliche Existenz, dieser friedlichste aller sozialen Entwürfe aus nichts als Liebe und Sorge, mit dem Krieg verbunden. In allen politischen Modellen wird die Mutter zum ersten und wichtigsten Waffenlieferanten: Sie stellt das Menschenmaterial für den Krieg. Ihre vorzüglichste Eigenschaft ist es, einen Sohn zu haben, dem sie alle Pflege zukommen läßt, nur um ihn dem Vaterland oder einer Idee zu opfern. Mit der Mutter tritt die Heimat in den Krieg ein.

Brecht beteiligt sich in allen Werkphasen an der ideologischen Umdeutung der einst privaten Rolle. Seine Position wandelt sich vom kriegsbegeisterten Sohn zum politischen Erzieher der Mütter und schließlich zum Kritiker jener Mütter, die sich vom Nationalsozialismus zum Verrat an ihrem friedlichen Auftrag verführen ließen. Während in den dreißiger Jahren aus dem sozialistischen Kämpfer ein antifaschistischer Pazifist wird, entwickelt sich die Mutter in seinem Werk zur Kämpferin für die »Dritte Sache«, die stets die gute des Sozialismus ist: »Die dritte Sache«, so Brecht an Ruth Berlau, »ist der Sozialismus (…) keiner schuldet keinem etwas, jeder schuldet alles der dritten Sache.« Die Mutter im gleichnamigen Stück singt das »Lob der dritten Sache« und rühmt sich ihres Einsatzes dafür: »aber ich / Behielt meinen Sohn. Wie behielt ich ihn? Durch / Die dritte Sache.«

Angesichts der zunehmenden Kriegspropaganda der Nationalsozialisten zeigt jedoch auch Brecht am Beispiel der Mutterfigur, welche Folgen der Dienst an der falschen Sache hat. »Mutter Courage«, das Drama, das in Deutschland nicht zur rechten Zeit, nämlich während des Krieges, sondern erst 1949 in Berlin aufgeführt wurde, erfuhr durch die verspätete Rezeption eine Interpretation, die Brechts eigentliches Thema, die Auseinandersetzung mit der Mutterideologie des Dritten Reichs, in den Hintergrund rückte. Das Unglück der Kriegsgewinnlerin ist nicht nur, wie linke Deutungen annehmen, eine Kritik des Kapitalismus, der am Krieg verdienen will; vor allem ist es eine Farce über das Mutterglück, das der NS-Staat verspricht. Das Stück parodiert das Wörterbuch der Propaganda, die der Mutter das Opfer des Sohnes als heilige Pflicht einredet: »Deutschland muß erst wieder ein blühendes Mutter- und Kinderland sein, dann wird es ein mächtiges Vaterland werden«, verspricht 1938 ein Aufsatz über »Deutsche Mutter und deutscher Aufstieg« in der Zeitschrift »Politische Biologie«. Dagegen inszeniert, wie sich zeigen soll, Brecht mit seiner »Mutter Courage« ein regelrechtes Kabarett über diese Art Mutter-Gottesdienst.

Brecht schließt damit einen Lernprozeß ab, der 1914 mit einem zeitgemäßen Irrtum, dem Glauben an die Opferrolle der Mutter, beginnt. Der Glaube mündet in den Versuch, diesem Opfer einen Sinn als Beitrag zur kommunistischen Weltverbesserung zu verleihen, bis endlich Brecht der Ehrlichkeit des mütterlichen Opfers überhaupt mißtraut.

In den frühen Gedichten feiert Brecht, wie die meisten jungen Männer seiner Zeit, die Mutter als Muse des Krieges. Seine Vorstellung von ihren nationalen Aufgaben bezieht er aus der Stimmungslage zu Beginn des Ersten Weltkriegs. 1914 veröffentlicht er in der »München-Augsburger Abendzeitung« seine »Augsburger Kriegsbriefe«, in denen er mit Begeisterung den Krieg begrüßt: »Und das Große, was wir Deutschen wollen, ist einzig und allein: Unsere Ehre wahren. Unsere Freiheit wahren, unser Selbst wahren. / Und das ist aller Opfer wert.« In dem Gedicht »Der heilige Gewinn« rühmt er die Mutter: »Das ist schön, schön über all’ Ermessen / Daß Mütter klaglos die Söhne sterben sehn / Daß alle ihre Sorgen still vergessen / Und um den großen Sieg nun beten gehen«. Die Rolle, die die sozialistische wie die faschistische Propaganda der Mutter zumutet, ist 1914 vollständig entfaltet, und Brecht übernimmt sie: »Mutter sein in unseren Zeiten heißt: Leiden« und »eines anderen Leben leben«, so erklärt er im Gedicht »Mutter sein«. Leiden aber heißt »tausendmal sterben« mit dem Sohn und allen Söhnen.

Von Anbeginn an umgibt die Mutter – und auch diesmal folgt Brecht dem allgemeinen Entwurf – der marianische Glorienschein der Gottesmutter. Noch 1922 verklären sich die armseligen Umstände der Geburt Jesu im Glanz, den der Sohn auf das Gesicht der Mutter wirft: »Alles dies / Kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war / Gesang liebte / Arme zu sich lud / Und / Die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben«. ("Maria«) In diese Nachfolge ordnet sich auch Pelagea Wlassowa ein, die Heldin aus dem viel später entstandenen Stück »Die Mutter«, die der Sohn zur Sozialistin bekehrt: »ich habe Glück: ich / habe einen Sohn, der nötig ist.«

Wenngleich der Gymnasiast Brecht schnell von seiner Kriegsbegeisterung geheilt wird, da er sich die Toten, Kinder und Armen vergegenwärtigt, die der Krieg zurückläßt, erlischt das 1914 übernommene Bild der Mutter als Lebensspenderin des Krieges doch nicht so rasch. Mit dieser Figur besetzt er die Stücke der dreißiger Jahre, jener Zeit, da sich in Deutschland die Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten verschärfte. Mit der Arbeit an »Die Mutter« nach Gorkis gleichnamigem Roman begann er 1931; 1937 entstand als Parteinahme für den Spanischen Bürgerkrieg »Die Gewehre der Frau Carrar«, 1938/39 entwarf er »Mutter Courage« und plante gleichzeitig den »Kaukasischen Kreidekreis«; 1940 schickte er dem Stück eine Erzählung voraus. Es ist ein Unterschied, ob Brecht am Anfang oder im Verlauf der dreißiger Jahre, mit zunehmender Kriegspropaganda der Faschisten, an Mutterdramen arbeitet: je nach Zeitpunkt wird das Drama für die Mutterfigur zur Hagiographie oder zum Letzten Gericht.
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SINN UND FORM 6/2014, S. 792-800, hier S. 792-794