Background Image

Heftarchiv – Leseproben

Screenshot

Printausgabe vergriffen

Leseprobe aus Heft 4/2011

Schöttker, Detlev

»Gefährlich Leben!«
Zum Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Dolf Sternberger


Seit ihrer ersten Begegnung in Paris 1941 stand die Korrespondenz zwischen Ernst Jünger und Dolf Sternberger im Zeichen von Einvernehmen und Verschwiegenheit. Einvernehmen herrschte darüber, intellektuell unabhängig zu bleiben, obwohl beide in Institutionen tätig waren, die von den Nationalsozialisten kontrolliert wurden. Verschwiegenheit war Voraussetzung, um die verbleibenden Spielräume, ob in Wehrmacht oder Presse, nutzen zu können. Während der 45jährige Jünger seit Erscheinen seines Romans »Auf den Marmorklippen« im Jahr 1939 über seine Verehrer in soldatischen Kreisen hinaus auch eine Leserschaft gefunden hatte, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstand, versuchte der zwölf Jahre jüngere Sternberger als Redakteur der »Frankfurter Zeitung«, bürgerliche Tugenden im Feuilleton zu bewahren. Zugleich hielt er Kontakt zu Vertretern der jüdischen und linken Intelligenz wie Hannah Arendt und Walter Benjamin, die 1933 emigriert waren und im Juni 1940, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich, aus Paris fliehen mußten.

Über die äußeren Bedingungen ihrer Tätigkeit verlieren die Briefpartner kein Wort, so daß ihre Korrespondenz auf den ersten Blick nur Unverfängliches enthält. Schaut man genauer hin, erweist sie sich geradezu als Paradebeispiel für die Möglichkeiten und Grenzen, unter den Bedingungen nationalsozialistischer Herrschaft abweichende Auffassungen mitzuteilen. »Gärten und Straßen«, Jüngers Tagebuch der Jahre 1939 und 1940, das mit einer Notiz über die Arbeit an den »Marmorklippen« beginnt, war die Basis der Verständigung, der Roman selbst, in dem Jünger durch allegorische Darstellung unterschwellig Kritik an der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft übte, der Bezugspunkt. Sternberger hat diese, von Jünger selbst heruntergespielte Deutung 1980 zur These eines Essays gemacht und dabei den lange unterbrochenen Kontakt wieder intensiviert.

 

I

 

Kennengelernt hatten sich beide im Oktober 1941 im Pariser Hotel »George V«. Dorthin lud Hans Speidel, von 1940 bis 1942 Chef des Generalstabs beim Militärbefehlshaber in Frankreich, regelmäßig Offiziere und Gäste zum Abendessen ein. Jünger war als Vertrauter Speidels ständiger Teilnehmer der sogenannten »Georgsrunde«, zu der auch Sternberger gebeten wurde. Anlaß war dessen Vortrag »Das glückliche und das gefährliche Leben« im Deutschen Institut in Paris. Der Text erschien im Dezember 1941 in zwei Teilen in der »Frankfurter Zeitung« und gehört zu jenen Essays, die Sternberger neben seinen tagesjournalistischen Beiträgen seit Ende der zwanziger Jahre in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte. Die meisten wurden später in überarbeiteter Form in verschiedene Auswahlbände sowie in die zwölfbändige Ausgabe seiner »Schriften« (1977–96) aufgenommen.

Über die näheren Umstände des Vortrags berichtete Sternberger 1988 aus Anlaß des Wiederabdrucks im neunten Band der »Schriften«. Demnach reiste er, da er – auch wegen seiner jüdischen Ehefrau – über keinen Paß verfügte, auf Einladung des Pariser Korrespondenten der »Frankfurter Zeitung« mit einem zeitlich begrenzten Militärausweis in die französische Hauptstadt. Das Deutsche Institut, das den Vortrag organisierte, hatte offiziell die Aufgabe, Kulturpropaganda zu betreiben, doch entzog sich Sternberger dieser Erwartung. Vielmehr verglich er die französische Glücksauffassung mit dem heroischen Lebensideal der Deutschen, ohne eine Wertung vorzunehmen. Aber auch dieser Vergleich bildete nur den Rahmen für Überlegungen zu einer Existenzform, für die er den Begriff des »tragischen Helden« verwendete. Es ging allerdings nicht um darstellende Kunst, sondern um das politische Verhalten eines bestimmten Typus, zu dem Sternberger mit Bezug auf Nietzsches »Fröhliche Wissenschaft« schreibt: »Darum sucht er die Gefahr auf. Darum heißt die berühmte Parole, von der Nietzsche sagt, sie sei das Geheimnis, die größte Fruchtbarkeit vom Dasein einzuernten: ›Gefährlich leben!‹ Vivere pericolosamente – so ist es ja die Parole des Faschismus geworden. Dieses Wort kann in der Tat als Motto jenes modernen tragischen Heroismus, dieses absoluten Heroismus gelten, dessen Kronzeuge Friedrich Nietzsche ist« (Schriften IX, S. 87f.).

Es ist anzunehmen, daß Sternberger frühere Arbeiten Jüngers kannte, in denen er Überlegungen zum Leben in der Gefahr entwickelt hatte. So heißt es in »Der Kampf als inneres Erlebnis« von 1922: »Mut zu besitzen, das heißt: jedem Schicksal gewachsen zu sein.« Vermutlich aber orientierte sich Sternberger in erster Linie an der Haltung der beiden Romanhelden in den »Marmorklippen«, einem Brüderpaar, das Ähnlichkeiten mit dem Autor und seinem Bruder Friedrich Georg aufweist. Wie diese setzten auch die Protagonisten des Romans ihre gemeinsame Arbeit als Natur- und Sprachforscher fort, als die Anhänger des »Oberförsters« das Land durch »Übergriffe und Gewalttätigkeiten« in Angst und Schrecken versetzten.

Das Brüderpaar des Romans erkundet zudem unter Lebensgefahr ein Haus, in dem ein einzelnes »Männlein« sein mörderisches Unwesen treibt. Die Schilderung der sogenannten »Schinderhütte« bei Köppelsbleek bildet den Höhe- und Wendepunkt der »Marmorklippen«: »Auch an den Bäumen, die die Rodung säumten, bleichten die Totenköpfe, von denen mancher, dem in den Augenhöhlen schon Moos gewachsen war, mit dunklem Lächeln uns zu mustern schien. (...) Das Innere der Scheune lag fast im Dunkeln, und wir erkannten nur dicht am Eingang eine Schinderbank mit aufgespannter Haut. (...) Dann fiel der Schatten eines großen Vogels auf den Platz. Er rührte von einem Geier, der mit ausgezackten Schwingen auf das Kardenfeld herniederstieß. Erst als wir ihn bis an den roten Hals langsam im aufgewühlten Grunde schnäbeln sahen, erkannten wir, daß dort ein Männlein mit der Hacke am Werke war und daß der Vogel seine Arbeit begleitete, so wie der Raabe dem Pfluge folgt. (...) Zugleich trieb mit dem Winde ein zäher, schwerer und süßer Hauch der Verwesung an, der uns bis in das Mark der Knochen erzittern ließ.«

Sternberger hat diese Szenerie in seinem Essay von 1980 als Allegorie auf die Konzentrationslager gedeutet, die Jünger in »prophetischer Phantasie« vorweggenommen habe. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Romans aber war das Quälen und Töten politischer Gegner in Kerkern und Lagern längst Bestandteil des nationalsozialistischen Terrors. Auf die nachfolgende Passage spielt der Titel von Sternbergers Beitrag »Eine Muse konnte nicht schweigen« an. Hier liefert Jünger nicht nur ein Bild der Diktatur als säkularisierter Hölle, sondern schildert zugleich die Reaktionen Betroffener: »Das sind die Keller, darauf die stolzen Schlösser der Tyrannis sich erheben und über denen man die Wohlgerüche ihrer Feste sich kräuseln sieht: Stankhöhlen grauenhafter Sorte, darinnen auf alle Ewigkeit verworfenes Gelichter sich an der Schändung der Menschenwürde und Menschenfreiheit schauerlich ergötzt. Dann schweigen die Musen, und die Wahrheit beginnt zu flackern wie eine Leuchte in böser Wetterluft. Da sieht man die Schwachen schon weichen, wenn kaum die ersten Nebel brauen, doch selbst die Kriegerkaste beginnt zu zagen, wenn sie das Larvengelichter aus den Niederungen auf die Bastionen emporgestiegen sieht. So kommt es, daß Kriegsmut auf dieser Welt im zweiten Treffen steht; und nur die höchsten, die mit uns leben, dringen bis in den Sitz des Schreckens ein. Sie wissen, daß alle diese Bilder ja nur in unserem Herzen leben, und schreiten als durch vorgestellte Spiegelungen durch sie in stolze Siegestore ein.«

Jünger lieferte hier vermutlich eine Erläuterung für seine Existenz im Dritten Reich, in der sich auch Sternberger wiedererkennen konnte. Den Mitgliedern der »Georgsrunde« war dessen distanzierte Haltung zum Nationalsozialismus offenbar bekannt, sonst wäre die Einladung an ihn kaum erfolgt. Denn bei den Essen, auf die ausgiebige Trinkgelage folgten (vgl. Brief 4), wurde nicht nur über Kunst und Literatur gesprochen, sondern auch über die Unwägbarkeiten der deutschen Kriegs- und Besatzungspolitik sowie die Gegensätze zwischen Militär- und Parteiapparat. Jünger hat darüber in seinem Pariser Tagebuch immer wieder Andeutungen gemacht und unter dem 1. November 1941 über das Zusammentreffen mit Sternberger berichtet: »Abends im George V., wo an der Tafelrunde auch Nebel und Sternberger als Gäste teilnehmen. Dieser letztere, mir durch seine Aufsätze bereits bekannt, erschien zunächst blasiert, gebeugt und teilnahmslos, wachte dann aber auf seltsame Weise auf, vom Wein und vom Gespräch wie durch ein Elixier belebt.«

Offenbar konnte Sternberger die Vorbehalte des von ihm verehrten Autors nicht gänzlich ausräumen, da Jünger die Aufzeichnung in die »Strahlungen« von 1949 übernahm (sie wurde erst in späteren Ausgaben getilgt). Wie der erste Brief Sternbergers vom Dezember 1941 zeigt, hatte er Jünger noch ein zweites Mal bei der deutschen Kunstmäzenin Lilly von Schnitzler getroffen, die mit ihrem Mann bis 1944 in Paris lebte. Auch hier wurde über den Vortrag gesprochen, wie dem Hinweis auf die »Figur des Scheiternden« zu entnehmen ist (Brief 1). Sternberger übersandte Jünger dazu den Essay »Hohe See und Schiffbruch«, den er 1935 in der »Neuen Rundschau« veröffentlicht hatte. Hier geht es nicht nur um das Motiv des Scheiterns (das Sternberger im Nachdruck in den Schriften VI herausnahm), sondern auch um die »Idee des ›gefährlichen Lebens'«, die naturgeschichtlich gedeutet wird. Damit hatte Sternberger die Maxime der »Marmorklippen« gleichsam vorweggenommen.

Eine direkte Diskussion wurde von den Korrespondenzpartnern natürlich vermieden. Beide kannten, wie mehrere Briefe zeigen, den Fall Gerhard Nebel, eines Vertrauten Jüngers, der nach einem Artikel in der »Neuen Rundschau« wegen einiger Formulierungen von Paris auf die Kanalinsel Alderney strafversetzt worden war (vgl. Brief 5). Statt dessen drehte sich der Briefwechsel um Eintragungen in Jüngers Buch »Gärten und Straßen«, die Sternberger in seinen Briefen kommentierte. Nachdem er bereits eines der ungebundenen Autorenexemplare erhalten hatte (Brief 2), verfaßte er gleich nach Erscheinen eine Besprechung, die am 16. März 1942 in der »Frankfurter Zeitung« erschien. Jünger las den Text noch am selben Tag, wie ein Eintrag im Pariser Tagebuch zeigt: »Am Abend kam Oberst Speidel in mein Zimmer; er brachte mir einen Aufsatz, den Sternberger in der ›Frankfurter‹ über mich schrieb«. Vom früheren Ressentiment ist hier nichts mehr zu spüren. In der Tat erweist sich Sternberger als guter Kenner von Jüngers Ästhetik: »Es geht hier nicht nur um Bilder, sondern um Urbilder. Im Zeitlichen sucht der Autor des Ewigen habhaft zu werden – oder vielmehr: sucht er ins Ewige hindurchzublicken, ewige Ordnungen oder Muster zu enthüllen« (Schriften VIII, S. 300).

Zwar finden sich vergleichbare Überlegungen auch in »Gärten und Straßen«, doch spielt Sternberger hier wohl auf Jüngers Idee der »stereoskopischen Wahrnehmung« an, auf die dieser zuvor in anderen Arbeiten eingegangen war: in den beiden Fassungen des »Abenteuerlichen Herzens« (1929 und 1938) und im »Sizilischen Brief an den Mann im Mond«, den Jünger in den von Sternberger ebenfalls erwähnten Essayband »Blätter und Steine« (1934) aufgenommen hatte. »Und doch«, so heißt es dort, »gilt unser höchstes Bestreben jenem stereoskopischen Blick, der die Dinge in ihrer geheimen ruhenden Körperlichkeit erfaßt«. Daß es dabei um die erwähnten »Urbilder« geht, zeigt eine Formulierung im »Abenteuerlichen Herzen«, wo (in der ersten wie in der veränderten zweiten Fassung) über den »stereoskopischen Genuß« zu lesen ist: »Es gibt an dieser Tafel keine Speise, in der nicht ein Körnchen vom Gewürz der Ewigkeit enthalten ist.«

[…]

 

SINN UND FORM 4/2011, S. 437-447