Background Image

Heftarchiv – Leseproben

Leseprobe aus Heft 3/2010

Täubert, Klaus

Zwillingsbrüder. Herbert Schlüter und Klaus Mann


Die Briefpartner lernten sich im März 1926 kennen: Klaus Mann war der Einladung zu einer Matinee seines Theaterstücks »Anja und Esther« im Berliner Lessing-Theater gefolgt und traf dort den gleichaltrigen Herbert Schlüter, der ihm, dem Autor und Darsteller eigener Befindlichkeiten – Herbert Ihering nannte sein Stück einen »szenischen Marlittroman der Homosexualität« –, bereits mit »Gedichten von den ersten Menschen« aufgefallen war. Der kurzen Begegnung nach der Aufführung, einem Sich-"Erkennen«, folgte die Einladung zu einem privaten Treffen.

An einem Märznachmittag bald danach begab sich Schlüter vom Prenzlauer Berg in die Charlottenburger Uhlandstraße. Seine ersten Prosaversuche erfuhren dort eine »geschwinde literarische Ortung« durch Klaus Mann, der in ihm eine Art Zwilling erkannt haben mochte. Das lag am Spielerischen und Preziösen einer Prosa, die von Proust und Herman Bang herkam, von Baudelaire wußte, und deren lyrische Pendants bei Rilke, dem frühen Stefan George und Hugo von Hofmannsthal zu finden waren, bei allem, »was zart war, fein, klug und ein wenig ohne Substanz«. Beide empfanden das Analoge ihrer Lebensläufe: Der Fabrikantensohn Schlüter verlor 1914 den Vater und sah das in Kriegsanleihen angelegte Vermögen dahinschwinden. Auch Klaus’ Vater, der »Großschreiber« Thomas Mann, hatte den Erlös der Tölzer Villa in Kriegsanleihen angelegt und verloren. Beiden fehlte der Schulabschluß, und natürlich hatten sie noch nicht viel von der Welt gesehen. Mann schrieb Aufsätze für Siegfried Jacobsohns Weltbühne, Schlüter veröffentlichte nach seiner Banklehre erste Gedichte in der Zeitschrift Romantik.

Klaus Mann, der 1925 mit dem Novellenband »Vor dem Leben« debütierte, war eine polarisierende Figur und erfreute sich, so Schlüter, einer »gewissen, leicht skandalösen Berühmtheit«. Schlüter merkte ironisch an, daß man es »etwas taktlos« fand, »in so jungen Jahren ein Talent zu zeigen, das befremdliche Züge formaler Virtuosität trug«. Zum Freundeskreis Manns, in den er aufgenommen wurde, gehörten W. E. Süskind und »Ricki« Hallgarten, die Kinder des Dirigenten Bruno Walter, Gretel und Lotte, Frank Wedekinds Tochter Pamela, das »Schweizerkind« Annemarie Schwarzenbach und die exzentrische »Mopsa« Sternheim.

Klaus Mann ermutigte ihn, und er protegierte ihn wohl auch. Daß sein Novellenband »Das späte Fest« 1927 bei S. Fischer erscheinen konnte, scheint ohne das Zutun Thomas und Klaus Manns kaum denkbar. Aufsätze im 8-Uhr-Abendblatt, in der Berliner und der Vossischen Zeitung belegen seine tatkräftige Unterstützung. Mit einem knapp bemessenen Vorschuß konnte Schlüter für drei Monate nach Paris reisen und erlag dem Zauber der Seine-Metropole, statt, wie der ehrwürdige Samuel Fischer ihm aufgetragen hatte, seinerseits die Stadt zu verzaubern. Berauscht von den Bals-Musette in der Rue de Lappe, den nicht endenwollenden Dancings und Diskussionen, saß er im »Jockey«, »lang, schmal, gesammelt und verschlossen«, und ließ sich in Gesellschaft von Ernst Bloch und Fränze Herzfeld von dem »merkwürdigen Buch« erzählen, das hier die Runde machte, »Der schwierige Tod« von René Crevel. Am Monatsende mußte er, oft ohne einen Sou in der Tasche, seine Armbanduhr beim Crédit Municipal hinterlegen. Rückblickend gestand er, daß er damals »für das Leben schlecht gerüstet« war.

Bei der Vorstellung einer »Anthologie jüngster Lyrik« (1927) in Herwarth Waldens Kunstsalon Der Sturm in der Potsdamer Straße begegneten sich Schlüter und Mann erneut. Das Buch, von Willi Fehse und Klaus Mann herausgegeben, enthält Arbeiten von neunzehn Autoren, darunter Schlüter, ein Geleitwort von Stefan Zweig und ein Nachwort von Klaus Mann. Der machte Schlüter mit Wolfgang Hellmert bekannt. Der als Adolf Kohn geborene Mime spielte eine zentrale Rolle in beider Leben. Er gehörte zunächst zum Ensemble der Max-Reinhardt-Bühnen und trat in den Berliner Kammerspielen mit Erika Mann auf. Klaus bewunderte den »gelernten« Bühnendarsteller und verteidigte auch nach Hellmerts frühem Tod seine eklektischen Gedichte. Beide konnten aus »profaner Genußsucht« nicht von bestimmten Pharmaka lassen und gingen in deren künstlichen Paradiesen zugrunde. Begonnen hatte das in der Berliner Kantstraße, oben in Mopsa Sternheims Apartment, wo die Besucher mit Kosten und Probieren »verführt« wurden. Schlüter, der bewußtseinserweiternde Mittel mied, nahm Hellmerts Medikamentenabhängigkeit später zum Anlaß, die Freundschaft zu beenden. Doch als sein Buch Ende 1927 herauskam, war es diesem gewidmet. Ihre erotische Beziehung erreichte im Frühsommer ihren Höhepunkt, bei einem von Klaus Mann eingefädelten Besuch im Münchner Heim seines Vaters. Hellmerts Klaus Mann gewidmete Novelle »Fall Vehme Holzdorf« war gerade erschienen, für Schlüters Erstling warb der Verlag damit, es sei das Buch eines der »heute etwa Zwanzigjährigen, dessen geistiges Werden ganz der Nachkriegszeit angehört. Was vor dem Kriege lag, entzieht sich ihrer Erfahrung, und darum gehen sie, trotz ihres manchmal erstaunlich früh entfalteten Talentes, mit zögernderer Hoffnung in die Zukunft als die Älteren«. Die drei Erzählungen wurden von zwei dem »Kreis« zugehörigen Rezensenten negativ rezensiert, von Erich Ebermayer ("Schlüter steht am Anfang seines Schaffens da, wo ein Marcel Proust am Ende«) und W. E. Süskind, der eine »unleugbare Kunst an stoffliche Nichtigkeiten verschwendet« sah. Es blieb einer späteren Generation überlassen, Schlüters »Spiel mit den Lebensaltern, den schwebenden Übergängen« und dem »Rollentausch von früher Jugend und hohem Alter« (so Albert von Schirnding zu seinem 90. Geburtstag in der Süddeutschen Zeitung) zu entdecken und zu würdigen.

1928 reiste er nach Italien, lebte einige Zeit mit dem Musikwissenschaftler und Pianisten Herbert Fleischer auf Capri, besuchte Neapel, Rom und Florenz. Er schrieb nach eigener Auskunft »eine Art ›Erziehungsroman‹ ein wenig als ›Falschmünzer‹ von Andre Gide. Ein polnischer Freund, der Schriftsteller und Übersetzer Stefan Napierski, war von dem Buch so angetan, daß er es mit einem langen Brief an Thomas Mann sandte. Und Thomas Mann antwortete positiv, fand es unrecht, (…) das Buch nicht zu bringen und erbot sich, es mit einer Empfehlung dem Transmare-Verlag zu schicken, der gerade ein Buch von Klaus Mann (…) gebracht hatte und der eher auf seine Stimme hören würde als einer der großen Verlage. Er tat es und die Folge war, daß der Transmare-Verlag sogleich ein Buch von mir brachte, – nicht das in Rede stehende, das ihm thematisch zu riskant schien, ohne es glattwegs abzulehnen«, sondern »die inzwischen fertig gewordene »Rückkehr der verlorenen Tochter"«. Das ursprünglich vorgeschlagene Manuskript sei »verlorengegangen« (Brief an Klaus Täubert vom 7.9.1976).

Thematisch zu riskant? Zu politisch? Schlüter, nichts weniger als ein homo politicus, war politischen Zwisten stets ausgewichen, revolutionären Elan durfte man von ihm nicht erwarten. Bestenfalls verstand er sich, wie er 1928 in der Neuen Rundschau über sich in der dritten Person schrieb, als literarischer Pionier »eines neuen Zeitalters damit beschäftigt, ›Brücken‹ über den ›Abgrund nach drüben zu schlagen‹, und was, horchte er seiner Frage nach, sollten ihm da ›noch Revolutionen, diese Kriege nach rückwärts?'"

In Klaus Manns »Kindernovelle«, die er 1927 besprach und ein Buch von »symptomatischer Bedeutung« nannte, erkannte er sich wieder. Allzu vertraut war ihm die »wirre Lage« einer eher unpolitischen Jugend, zu der er sich mit der Aussage bekennt, er sei »etwas sonderlich im bürgerlichen Sinne« und auch »voll großer Weltfrömmigkeit und schaudernder Ehrfurcht«. Übrigens erwähnte Schlüter diese Besprechung nicht einmal, als er mehr als ein halbes Jahrhundert später erneut, und weit ausführlicher, über die »Kindernovelle« schrieb.

In der Anthologie »Junge Deutsche Dichtung« (1930) steht seine später in »Ein Gartenfest« umbenannte Erzählung »Das Wiedersehen« neben einem Auszug aus Klaus Manns Alexander-Roman. 1932 erschien der Roman »Rückkehr der verlorenen Tochter«, den die Germania in einer Besprechung »glanzlos« nennt, während Friedrich Walter dem Verfasser im Berliner Börsen-Courier einen hohen »Grad von Selbständigkeit« bescheinigt. Hermann Hesse schreibt im Zwiebelfisch: »Wundervoll erlöst und schwerelos schweben manche Seiten dieser Dichtung«. In Velhagen und Klasings Monatsheften wird Schlüter gelobt, weil er »die Frage nach der Ursprünglichkeit seiner Arbeit nicht der Erzählung an sich« überläßt, sondern »seinen Stoff vom Stil her zu beantworten sucht«. Das Sterben der »seltsamverlorenen Tochter« sei »eine dichterische Vision von großen Gnaden« und werde »unnachahmlich von dem Dichter Schlüter geschildert«. Der Rezensent ist Hanns Johst, später Präsident der nationalsozialistischen Reichsschrifttumskammer.

 

Nach dem »Anschluß« des Freistaates Bayern an Hitlers »Reich« verläßt Klaus Mann am 13. März 1933 Deutschland. Einen Monat später geht auch Schlüter: »Konnte man freiwillig noch in Deutschland bleiben, wenn man sah was geschah"? (Brief an Klaus Täubert vom 28.10.1963) Was er sein erstes Exil nennt, ist lediglich ein Versuch, er sieht sich als Tourist, dem der Rückweg offen bleibt. Klaus Mann erwähnt ihn am 2. Mai 1933 zum ersten Mal in seinen Tagebüchern, dann wieder im Oktober. »Post: Schlüter«. Woraus hervorgeht, daß Teile der Korrespondenz verlorengegangen sind. Das belegt auch Schlüters Brief vom 17. Juli, mit dem das hier vorgelegte Konvolut von 29 Briefen einsetzt. zwanzig davon haben sich im Nachlaß Klaus Manns erhalten, aber nur neun bei Schlüter, alle aus der Nachkriegszeit. Einiges fiel den Berliner Bombennächten zum Opfer, die Briefe aus dem Exil und auch seine Manuskripte vernichtete er aus Sicherheitsgründen selbst. Nur zwei dünne Hefte mit Aufzeichnungen sind erhalten, von denen das chronologisch zweite die Aufschrift Italienisches Tagebuch trägt (die des ersten wurde ausradiert). Sie enthalten neben dem hier abgedruckten Text Skizzen zu einem Roman oder einer Erzählung – vieles davon durchgestrichen –, eine tabellarische Aufstellung wichtiger Daten des Kriegsverlaufs von 1939-41 sowie englische Vokabeln und Umrechnungstabellen für inches und pounds, offenbar aus Schlüters Zeit im Internierungslager. Nicht mit aufgenommen wurden einige zum Teil schwer zu entziffernde Seiten über die Reise von Brindisi nach Neapel, unmittelbar vor seiner Ankunft in Ischia.

Im einzigen erhaltenen Brief von 1933 beklagt Schlüter sein Unvermögen, über die Emigration zu schreiben, wiewohl er die Vorstellung einer »anti-hitlerischen Novelle« habe. Erst im Februar 1937 kommt er, mittlerweile ein gebeutelter Exilant, darauf zurück, will »die artistische Möglichkeit« gefunden haben, seine »stimmungshafte Überzeugung« zu formulieren. Der für ihn ganz neuartige Stoff liege auch ein bißchen auf Klaus und Heinrich Manns Linie, vor allem aber sei er »politisch ganz eindeutig, ein Bekenntnis zur Linken, zur Volksfront als den heute eigentlich bewahrenden Kräften der europäischen Civilisation«. Kaum einmal sonst hat sich Schlüter politisch so konkret geäußert.

[…]

 

SINN UND FORM 3/2010, S. 359-369