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Heftarchiv – Themen und Debatten

Briefe

Man muß kein Prophet mehr sein, um das Ende der jahrhundertealten Briefkultur kommen zu sehen. Meist genügt es schon kurz nachzudenken, wann man selbst das letzte Mal jemandem geschrieben hat. Gerade Schriftsteller – darunter Meister der geschliffenen Korrespondenz und Verfasser von Briefromanen – empfinden den Verlust besonders schmerzlich. Einer der schönsten Nachrufe auf das zur Neige gehende »Zeitalter der Briefe« stammt von dem Chilenen Jorge Edwards, der u. a. mit Pablo Neruda, Julio Cortázar und Graham Greene korrespondierte: »Einen Brief zu schreiben hieß einstmals sich zurückzuziehen, zu sammeln, mit ein wenig Stille zu umgeben. Es war ein kreativer Akt, man betrat eine private Sphäre.« (Heft 4/2006)
Anders verhält es sich mit dem Offenen Brief, der nicht das Zwiegespräch, sondern die Öffentlichkeit sucht. Einen solchen richtete 1938 der deutsch-britische Arzt und Nietzsche-Übersetzer Oscar Levy an Adolf Hitler: »Mein Führer, es wird Sie erschüttern, bis ins Mark erschüttern, daß jemand, der noch nicht einmal deutscher Staatsbürger ist oder sich rühmen kann, einen Tropfen Ihres edlen arischen Blutes in seinen Adern zu haben, Sie in dieser Weise anredet.« Punkt für Punkt nimmt sich Levy die Nazi-Ideologie vor und begründet, warum deren Berufung auf Nietzsche unberechtigt und anmaßend sei. Der Brief schließt mit der »Exkommunizierung Adolf Hitlers«: »Wenn Sie dann unseren Garten verlassen, Herr Hitler, gehen Sie hin in Frieden und unbehelligt von Verwünschungen und Racheschreien. Wir wollen Ihnen nicht ans Leben, wir wollen nur, daß Sie gehen. Doch gehen müssen Sie! Mein Führer, darf ich Sie zur Tür geleiten?« (Heft 3/2007)
Von den unmittelbaren Auswirkungen der NS-Herrschaft auf das Leben unliebsamer Künstler ist in den Ehebriefen von Carl und Gertie Ebert die Rede. Der Intendant der Städtischen Oper Berlin wurde als »Kultur-Bolschewist« diffamiert, sein Haus 1933 von der SA besetzt. Wenig später ging Carl Ebert ins Exil und wirkte u. a. in Zürich, Buenos Aires, Ankara und Glyndebourne, wo er das noch heute bestehende renommierte Festival begründete. Ilse Kobán hat das Schauspielerpaar in einem Essay porträtiert und die oft dramatischen Briefe eingeleitet: »Trotz unseres Ahasverlebens kriegen wir doch keine Routine darin u. es ist immer wieder ein fast körperlicher Schmerz. Und ist es denn nicht auch grotesk, daß wir zu dieser Zeit, da ich Dir schreibe, auf zwei verschiedenen Wegen durch Frankreich rasen – immer weiter voneinander weg.« (Heft 5/2008 und 6/2008)

OSCAR LEVY Die Exkommunizierung Adolf Hitlers. Ein Offener Brief
Mein Führer,
es wird Sie erschüttern, bis ins Mark erschüttern, daß jemand, der noch nicht einmal deutscher Staatsbürger ist oder sich rühmen kann, einen Tropfen Ihres edlen arischen Blutes in seinen Adern zu haben, Sie in dieser Weise anredet. Doch ich muß Sie so anreden, weil wir dieselbe Weltanschauung haben, wir sind Brüder im Geiste, wir nennen uns beide stolz Schüler des Philosophen Friedrich Nietzsche.
(...)
Wenn Sie dann unseren Garten verlassen, Herr Hitler, gehen Sie hin in Frieden und unbehelligt von Verwünschungen und Racheschreien. Wir wollen Ihnen nicht ans Leben, wir wollen nur, daß Sie gehen.
Doch gehen müssen Sie!
Mein Führer, darf ich Sie zur Tür geleiten?
Paris, 21. Juni 1938

3/2007 | zum Text

JORGE EDWARDS Das Zeitalter der Briefe und andere Betrachtungen
Die Kommunikation zwischen den Schriftstellern unserer Sprache war, wie wir bei einem literarischen Treffen feststellten, in den Sechzigern und Anfang der Siebziger viel besser als jetzt. Weshalb? Einer von mehreren Gründen liegt darin, daß es ergiebiger war, Briefe zu schreiben, als bloß zu telefonieren, zu mailen und was der Neuheiten mehr sind.
4/2006 | zum Text

ILSE KOBÁN Warten darauf, daß es wieder Leben wird. Zum Briefwechsel Carl Ebert und Gertie Ebert
»So berühmt sind wir ja nicht, daß unsere Briefe einmal veröffentlicht werden u. wer sie sonst etwa findet, der soll ruhig daraus ersehen können, daß wir uns ganz u. vorbehaltlos mit Körper und Seele liebten, davon nichts dominierte, aber auch nichts in einer verlogenen und verbogenen Bürgermoral zurückgesetzt wurde«, schreibt Carl Ebert 1935 an seine Frau Gertie. Und ebendies wird der Leser aus den hier abgedruckten Briefen ersehen, und er wird Einblick erhalten in die Lebensumstände und existentiellen Nöte eines emigrierten deutschen Künstlers und seiner Familie nach 1933.
5/2008 | zum Text