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Heftarchiv – Themen und Debatten

Vom Alter

Auch für jüngere Menschen haben die zurückliegenden Wochen des Stillstands etwas von der Einsamkeit und Zurückgezogenheit des Alters erfahrbar gemacht. Gedanken über die menschliche Endlichkeit folgen gewissen Mustern, werden aber zumeist vermieden. Doch manchmal helfen mutige Texte, sich mit dem dritten Lebensalter vertraut zu machen. Über die Fremdheit des Alterungsprozesses schreibt Natascha Wodin in "Das Ausland des Alterns" (6/2011): "Wenn der Tod in der Trennung von Körper und Seele bestand, dann hatte ihr Tod bereits begonnen. Ihr Körper und ihre Seele gingen längst getrennte Wege, und vielleicht war das eine weise Vorsehung der Natur. Man sollte sich schon im Leben an diese Trennung gewöhnen, schön langsam, Tag für Tag, damit es dann, im Augenblick des Todes, nicht so abrupt kam, damit man auf den endgültigen Riß zwischen Körper und Seele vorbereitet war."

Das ehrwürdige Alter, das gefürchtete, tabuisierte und lächerliche Alter: Die widersprüchlichen Figuren philosophischen Sprechens über das Alter von der Antike bis zur Gegenwart durchleuchtet Hannelore Schlaffer in "Der jugendliche Greis" (5/2001): "Als Cicero 44 v. C. ‚De senectute’ schrieb und damit der Nachwelt einen Grundtext lieferte, wollte er den Beweis für die Brauchbarkeit der Unbrauchbaren erbringen. Er stellt Altern als Läuterungsprozeß dar, die Würde des alternden Menschen als eine Manifestation des reinen Geistes. Freigestellt von aller Praxis, überschaut dieser die Welt, als sei sie ein Fest: Alter ist Theorie als Lebenshaltung."

Im Gespräch mit Jochen Rack erteilt Odo Marquard (5/2010) den Vorstellungen von Vollendung und Weisheit des Alters eine Absage, ohne deshalb in Nihilismus zu verfallen: "Ich habe etwas gegen Versuche, die Nützlichkeit des Alters zu beweisen – da sieht man gleich den erhobenen Zeigefinger. Ich versuche mir an mir selber klarzumachen, was am Alter Elend und was Kompensation des Elends ist. (...) Man sollte davon Abstand nehmen, das Lebensende als Ziel zu betrachten. Es ist mehr Ende als Ziel."

HANNELORE SCHLAFFER Der jugendliche Greis. Das Reden über Alter und Altern
Jugendlichkeit  aber war zu allen Zeiten der Traum der Alten gewesen, nur haben sie sich dies nicht eingestanden. Im zweitausendjährigen Diskurs über das Alter ist immer nur von dessen Vorzügen die Rede: von seiner Würde, seiner Weisheit, seiner philosophischen Gelassenheit. Bei genauem Hinsehen jedoch stellt sich heraus, daß diese Auszeichnungen nichts sind als Stilisierungen, mit denen die Alten versuchten, sich gegen die Jugend zu behaupten. Bis ins 18. Jahrhundert hat man sich solcher Selbstdarstellung befleißigt.
5/2001 | zum Text

JOCHEN RACK Gespräch mit ODO MARQUARD. Über das Alter (2004)
MARQUARD: Ich sage jetzt mal was Provozierendes. Natürlich hat ein Schlaganfall, den man einigermaßen heil übersteht, auch sein Gutes: Früher mußte ich immer überlegen, mit welcher Begründung ich die wöchentlich eingehenden Vortragsanfragen absage. Plötzlich wurde das ganz einfach. Man sagt: Ich hatte einen Schlaganfall und muß jetzt kürzertreten, ich bitte um Ihr Verständnis. Und schon ist man die Sache los. So gewinnt man unglaublich viel Zeit, auch zum Nachdenken.
5/2010 | zum Text

NATASCHA WODIN Das Ausland des Alters
So also begann es, dachte sie. Es kam nicht nach und nach, wie man sich das vorstellte, sondern ganz plötzlich, mit einem Ruck, nachts, während man schlief. In einem einzigen Augenblick bildete sich im abgenutzten Körper ein Riß, ein Leck, durch das die Kraft auszulaufen begann. Und wenn man aufwachte, war man alt geworden, ohne zu begreifen, was einem geschehen war.
6/2011 | zum Text