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Heftarchiv – Leseproben

Yourcenar, Marguerite

6/2009 | Träume und Schicksale

Die Wachenden haben eine einzige und
gemeinsame Welt, die Schlafenden aber
wenden sich ihrer eigenen Welt zu. Heraklit von Ephesus Ich möchte hier einige Träume erzählen, die für jemanden, der viel geträumt hat, besonders quälend oder tröstlich sind. Seit meiner Jugend (an Kinderträume kann ich mich bis auf zwei oder drei kaum erinnern) begleitet mich durch mein nächtliches Leben ein Dutzend verstörender oder gütiger Träume, die wie musikalische Motive erkennbar und wie diese unendlich variierbar sind. Sie unterteilen sich in Gruppen, in ausgeprägte (...)

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1/2012 | Der Goldwechsler

In Museen für alte Kunst begegnet man zwischen rot gewandeten Prälaten und gepanzerten Kriegern oft dem Porträt eines bescheiden in dunkles Tuch gekleideten Mannes, dessen Gesicht faltig wie eine Geldbörse oder verwischt wie ein abgegriffenes Goldstück ist. Außer einer kleinen Waage lenkt nichts den Scharfsinn der Vorübergehenden auf ihn. In Allegorien symbolisiert die Waage Gerechtigkeit: es kommt vor, daß man ein Schwert in eine der Waagschalen werfen kann. Beim „Wägen der Seelen“ im Tympanon der Kathedralen schwankt sie an einem Diamantbalken zwischen mächtigen Engelshänden. (...)

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