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Heftarchiv – Leseproben

Caillois, Roger

3/2010 | Katechismus und Almanach. Über Saint-Exupéry

Als Kind hatte Saint-Exupéry offenbar eine fast religiöse Ehrfurcht vor dem Schriftstellerberuf, die er auch nie verlor. Für Kinder und schlichte Gemüter ist Gedrucktes dasselbe wie Literatur. Es hat für sie ein Prestige, das sie später als unverdient ansehen müssen. (...)

Leseprobe
Adorno, Theodor W.

5/2021 | »Sie sollten sich über diesen Ungeist wirklich einmal orientieren«. Briefwechsel mit Hans Magnus Enzensberger 1955 – 66. Mit einer Vorbemerkung von Jan Bürger

Vorbemerkung Mitte der sechziger Jahre prägten Hans Magnus Enzensberger und Theodor W. Adorno den noch vergleichsweise kleinen Suhrkamp Verlag wie eine Doppelspitze. Beide waren auf unterschiedliche Weise Identifikationsfiguren, beide rückten mit ihrem Sensorium für politische, soziale, kulturelle und künstlerische Probleme die Wirtschaftswunder- Gesellschaft gewissermaßen zurecht: Der 1903 in Frankfurt geborene und 1934 ins Exil gegangene Adorno stellte durch seinen intellektuellen Anspruch, die Ausnahmerolle des Remigranten und nicht zuletzt durch seine Präsenz im Massenmedium Radio (...)

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2/2022 | »Ich habe die Hosen voll, wenn ›ich an Deutschland denke in der Nacht‹«. Briefwechsel mit Lotte Lenya. Mit einer Vorbemerkung von Jens Rosteck

Vorbemerkung Kurt Weills plötzlicher Tod im einundfünfzigsten Lebensjahr, ausgelöst durch einen Herzinfarkt, am 3. April 1950 warf seine Ehefrau Lotte Lenya (ursprünglich Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer, 1898–1981) völlig aus der Bahn. Zweieinhalb stürmische Jahrzehnte hatten sie verbunden, ein bemerkenswertes Auf und Ab in Liebesdingen, eine veritable Schaffensexplosion, eine beispiellose Premierenserie in Berlin, die glorreiche wie mythenumrankte Brecht-Ära, die schwierige Emigration, der Neuanfang in den Vereinigten Staaten und gleich zwei Hochzeiten. Weills letztes (...)

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6/2023 | »Ich kann auch den kleinsten Weg nicht anders als allein gehen«. Briefwechsel mit Elias Canetti. Mit einer Vorbemerkung von Sven Hanuschek

Ein Vulkan an Ressentiment. Vorbemerkung zum Verhältnis von Theodor W. Adorno und Elias Canetti Hilde Spiel hat in den Erinnerungen »Welche Welt ist meine Welt?« (1990) von einem Mittagessen in ihrem Garten erzählt: Unter einem Kastanienbaum bewirtete sie Theodor W. Adorno, Elias Canetti sowie Ernst und Lou Fischer, und in der Nacht spaltete ein Blitz den Baum – am nächsten Tag habe sie mit ihrem Mann gewitzelt, die geballte Eitelkeit der beiden Geisteshelden habe wohl noch in der Luft gelegen und die himmlische Entladung auf sich gezogen. Daß zwischen Canetti und Adorno jenseits (...)

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Carey, John

5/2009 | Der Unbeständige. Über John Donne

John Donne war ein Dichter neuen Typs. Seine Originalität beeindruckte die Zeitgenossen. Sie meinten, daß er das literarische Universum verändert habe. Er war der »Kopernikus der Dichtung« – ein prometheischer Neuerer, der das »gelehrte Unkraut« und den verstaubten Zierrat der klassischen Mythologie ausgemerzt hatte. Kein englischer Dichter vor ihm war so avantgardistisch und keiner so intellektuell oder so schwierig. Sein Freund Ben Jonson fürchtete, Donnes Dichtung werde sich als zu dunkel erweisen, um zu überdauern. Bei seinem Tod würdigten ihn seine Bewunderer mit Metaphern von Macht und Energie. Er habe über eine »Monarchie des Geistes« geherrscht; in seinem »klaren Verstand« habe ein »schreckliches Feuer« gebrannt. (...)

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Cărtărescu, Mircea

3/2012 | Gespräch mit Anke Pfeifer

ANKE PFEIFER: Sie gelten als einer der bedeutendsten rumänischen Gegenwartsautoren und sind auch jenseits der Landesgrenzen sehr bekannt. Seit dreißig Jahren veröffentlichen Sie Lyrik, Prosa und Essays. Vor zwei Jahren haben Sie die umfangreiche Trilogie "Orbitor" beendet, die zum Teil auch schon auf deutsch vorliegt. Als der abschließende dritte Band erschien, sagten Sie, dieses Romanwerk sei das beste Buch, das Sie schreiben konnten, und was nun komme, sei nur noch ein Anhang. Sind Sie immer noch dieser Meinung? MIRCEA CĂRTĂRESCU: Es wäre sehr traurig, wenn ich das immer noch glaubte. (...)

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Chesterton, Gilbert K.

6/2008 | Essays über Eugenik

"(...) Anarchie muß keineswegs gewalttätig sein; und sie muß auch nicht von unten kommen. Eine Regierung kann ebenso anarchisch werden wie ein Volk. Der sentimentalere Tory benutzt das Wort Anarchie nur als Schimpfwort für Rebellion; dabei übersieht er einen höchst wichtigen gedanklichen Unterschied. Eine Rebellion mag falsch und verheerend sein; aber selbst, wenn sie falsch ist, ist sie nie Anarchie. Wenn sie nicht Selbstverteidigung ist, ist sie Usurpation. Ihr Ziel ist es, das alte Regime durch ein neues zu ersetzen. (...)"

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Cixous, Hélène

2/2014 | »Osnabrück ist das verlorene Paradies, nur nicht für mich.« Gespräch mit Cécile Wajsbrot

(...) Als Hélène Cixous die Wohnungstür öffnete, kam mir Nofretete in den Sinn, deren ebenmäßiges und doch rätselhaftes Gesicht die Zeiten überdauert hat. Beim Anblick des Panoramas von Paris, das sich vor den Fenstern darbot, sprachen wir über Deutschland, über Berlin, wo ich damals schon lebte. Im Laufe der Jahre wurden mir diese Treffen mit Hélène zur Gewohnheit – schwebend gleichsam im Raum (hoch droben in einem Neubau) und in der Zeit, seltene, doch regelmäßige Besuche – manchmal wirbelte eine Katze herein –, geprägt von der mal sichtbaren, mal unsichtbaren Gegenwart ihrer Mutter Ève, die im Sommer 2013 dahinging. Mit der Zeit entwickelten sich eine Freundschaft, glaube ich, und ein Austausch. (...)

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Czapski, Józef

4/2023 | Tumult und Gespenster

(…)
Cannes. Das Schiff ist gerade erst aus Genua eingelaufen. Auf den Wellen schaukelt eine riesige, weise Schmuckschatulle mit einem roten Streifen am Schornstein und einem grünen dort, wo es die Wellen berührt: »Giulio Cesare«. Schiffsreisen liegen mir überhaupt nicht. Ich kann Schiffe nicht leiden, nicht einmal die schönsten. Die überlangen Flure und Treppen, überall ein eigenartiger Geruch (Lack? Schmiere?), die Enge der Kabinen – auch der ärmste Schlucker wohnt auf Erden geräumiger –, das sanfte Schaukeln, auch wenn der Kreuzer stillsteht – mir wird schon aus (...)

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McCormick, John

1/2008 | Eine andere Musik

Diejenigen, die in relativ wohlhabenden westlichen Gesellschaften leben, vor allem aber wir Amerikaner, neigen dazu, sich zu ihren Ansichten über Gott, die Moral und die Wirtschaft zu beglückwünschen - eine Haltung, die es erlaubt, die weniger »Fortgeschrittenen« darüber zu belehren, wie sie ihr bedauernswertes Los verbessern könnten. Folglich sind wir die Herren der Wirklichkeit. Und wir haben die Bankkonten, die das belegen. Eine Schwachstelle in dieser Logik wird jedoch ausgespart, wenn es um das Problem des Alters geht. Wir mögen dem Alter mit seiner Häßlichkeit und seinem (...)

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