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Heftarchiv – Leseproben

Achilles, Peter

5/2012 | Die Stimme der Güte. Zu Viktor von Weizsäckers Briefen an Lou Andreas-Salomé

I.
1931 erschien Lou Andreas-Salomés »Mein Dank an Freud. Offener Brief an Professor Sigmund Freud zu seinem 75. Geburtstag«. Diese Schrift ist mehr als ein Dank, sie enthält die Zusammenfassung ihres Verständnisses der Psychoanalyse, verfaßt in einer mehr poetischen als wissenschaftlichen Sprache. Viktor von Weizsäcker (1886–1957) vernahm in diesem Vermächtnis »die Stimme der Güte«. Auch er verehrte Freud und seine Psychoanalyse und auch er suchte ihr gegenüber nach einem eigenen Standpunkt. Als Internist und Neurologe, als Schüler von Ludolf Krehl, dem Begründer der (...)

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Adorno, Theodor W.

5/2021 | »Sie sollten sich über diesen Ungeist wirklich einmal orientieren«. Briefwechsel mit Hans Magnus Enzensberger 1955 – 66. Mit einer Vorbemerkung von Jan Bürger

Vorbemerkung Mitte der sechziger Jahre prägten Hans Magnus Enzensberger und Theodor W. Adorno den noch vergleichsweise kleinen Suhrkamp Verlag wie eine Doppelspitze. Beide waren auf unterschiedliche Weise Identifikationsfiguren, beide rückten mit ihrem Sensorium für politische, soziale, kulturelle und künstlerische Probleme die Wirtschaftswunder- Gesellschaft gewissermaßen zurecht: Der 1903 in Frankfurt geborene und 1934 ins Exil gegangene Adorno stellte durch seinen intellektuellen Anspruch, die Ausnahmerolle des Remigranten und nicht zuletzt durch seine Präsenz im Massenmedium Radio (...)

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2/2022 | »Ich habe die Hosen voll, wenn ›ich an Deutschland denke in der Nacht‹«. Briefwechsel mit Lotte Lenya. Mit einer Vorbemerkung von Jens Rosteck

Vorbemerkung Kurt Weills plötzlicher Tod im einundfünfzigsten Lebensjahr, ausgelöst durch einen Herzinfarkt, am 3. April 1950 warf seine Ehefrau Lotte Lenya (ursprünglich Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauer, 1898–1981) völlig aus der Bahn. Zweieinhalb stürmische Jahrzehnte hatten sie verbunden, ein bemerkenswertes Auf und Ab in Liebesdingen, eine veritable Schaffensexplosion, eine beispiellose Premierenserie in Berlin, die glorreiche wie mythenumrankte Brecht-Ära, die schwierige Emigration, der Neuanfang in den Vereinigten Staaten und gleich zwei Hochzeiten. Weills letztes (...)

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6/2023 | »Ich kann auch den kleinsten Weg nicht anders als allein gehen«. Briefwechsel mit Elias Canetti. Mit einer Vorbemerkung von Sven Hanuschek

Ein Vulkan an Ressentiment. Vorbemerkung zum Verhältnis von Theodor W. Adorno und Elias Canetti Hilde Spiel hat in den Erinnerungen »Welche Welt ist meine Welt?« (1990) von einem Mittagessen in ihrem Garten erzählt: Unter einem Kastanienbaum bewirtete sie Theodor W. Adorno, Elias Canetti sowie Ernst und Lou Fischer, und in der Nacht spaltete ein Blitz den Baum – am nächsten Tag habe sie mit ihrem Mann gewitzelt, die geballte Eitelkeit der beiden Geisteshelden habe wohl noch in der Luft gelegen und die himmlische Entladung auf sich gezogen. Daß zwischen Canetti und Adorno jenseits (...)

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Aleksić, Dragan

3/2013 | Claudio Magris in Bela Crkva

Es ist leicht Claudio Magris, Professor für deutschsprachige Literatur an der Universität Triest und Verfasser mehrerer Essays und Romane, verbrachte auf der Suche nach Material für sein Donau-Buch vier Tage in Bela Crkva. Zusammen mit ihm kam in die Stadt, in der sie geboren war, in der sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte, viermal verheiratet und viermal verwitwet war (zwei ihrer Ehemänner hatte sie geliebt, die anderen beiden geduldig ertragen, Kinder hatte sie keine), die achtzigjährige Frau Anka, seit Jahrzehnten wohnhaft in Triest. Magris nannte sie Großmutter Anka und (...)

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Amiel, Irit

3/2021 | »Neuanfänge sind niemals leicht«. Gespräch mit Bernhard Hartmann

BERNHARD HARTMANN: Als Sie vor gut zwei Jahren einen Unfall hatten, habe ich Ihnen per E-Mail baldige Genesung gewünscht. Sie schrieben mir zurück: »Wir sogenannten Shoah-Überlebenden haben so etwas wie einen Sensor, einen Rettungsknopf in uns. Und immer, wenn uns etwas Schlimmes passiert, drücken wir diesen Knopf und dann ist wieder alles möglich.« Wie funktioniert das?
IRIT AMIEL: Bei mir vor allem so, daß ich nicht den Kopf verliere, wenn etwas passiert. Ich weiß, daß ich meine Kinder anrufen muß, Oni und Dita. Seit einiger Zeit habe ich auch einen echten (...)

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Angarowa, Hilde

3/2021 | Die Rückkehr. Aus einem Reisetagebuch (1957). Mit einer Vorbemerkung von Andreas Tretner

Vorbemerkung

Annähernd dreißig Jahre war Hilde Angarowa, geborene Schießer, Deutschland ferngeblieben, bis sie sich im März 1957 das erste Mal wieder nach Berlin, Hauptstadt der DDR, wagte. »Germania begrüßt seine treulose Tochter«, so eröffnet sie ihr Reisetagebuch. Als junge Bildhauerin hatte sie 1929, frohgemut und frischvermählt mit einem rotblonden Sibirjaken, die Stadt gen Moskau verlassen; zurück kam sie als gestandene Übersetzerin russischer Literatur.
Ihre »Lehrjahre« für diesen Beruf erscheinen beispiellos dramatisch, hart an den Abgründen (...)

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Apollinaire, Guillaume

2/2008 | Die Quais und die Bibliotheken

Ich gehe möglichst selten in große Bibliotheken. Lieber spaziere ich über die Quais, diese herrliche öffentliche Bibliothek. Aber manchmal besuche ich die Nationalbibliothek oder die Mazarine, und im Musée social in der Rue Las-Cases traf ich einen seltsamen Leser, einen Bibliotheksliebhaber. »Vom Herumlaufen in fremden Städten wurde ich oft furchtbar müde«, sagte er, »und um mich zu auszuruhen, um mich zu Hause zu fühlen, ging ich eine Bibliothek.«
"Daher kennen Sie wohl so viele.«
"Sie bilden den größten Teil meiner Reiseerinnerungen. Ich will nicht von den Pariser (...)

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Appelfeld, Aharon

2/2018 | »Deutsch sollte meine Sprache sein, sie wurde es leider nicht«. Ein Gespräch mit Achim Engelberg über Literatur, Vergangenheit und Gegenwart

ACHIM ENGELBERG: Etliche Autoren, die über den Völkermord an den europäischen Juden oder die Schrecken der Lagerwelt des 20. Jahrhunderts schrieben, begingen Selbstmord, etwa Primo Levi oder Jean Améry. Andere wie Jorge Semprún brauchten einen zeitlichen Abstand, um von ihren Leiden erzählen zu können. Nach dem Tod von Imre Kertész sind Sie einer der letzten, die die Schoah in den Mittelpunkt ihres Werkes stellen. AHARON APPELFELD: Mit Kertész war ich eng befreundet. Ich konnte kein Ungarisch und er kein Hebräisch, aber unsere gemeinsame Sprache war Deutsch, wir kamen beide (...)

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Aragon, Louis

5/2011 | Heinrich von Kleist

Am 21. November 1811 entdeckte das Hausmädchen beim Gasthaus »Zum Stimming«, etwa anderthalb Kilometer von Potsdam entfernt in Richtung Berlin, ein Paar, das sich in einem Wäldchen am Ufer des Wannsees den Kaffee hatte servieren lassen. Mann und Frau waren von Kugeln durchbohrt, aber lächelten. Es waren die Ehefrau des Schatzmeisters der Brandenburgischen Landesbrandversicherungsanstalt, Henriette Vogel, und ihr Gefährte, der vierunddreißigjährige Dichter, Dramatiker und Romancier Heinrich von Kleist. Es handelte sich nicht um das Schlußkapitel einer unglücklichen Liebe. Zwischen (...)

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